Blogbeitrag

Arbeitsmarkt für Erzieherinnen oder: Mehr Geld für gleiche Arbeit?

Für Blogartikel sind die jeweils benannten Autoren allein verantwortlich.
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Arbeitsmarkt für Erzieherinnen oder: Mehr Geld für gleiche Arbeit? – Von Dr. Rüdiger Werner

Dr. Rüdiger Werner
Dr. Rüdiger Werner

Es ist richtig: der Arbeitsmarkt für Erzieherinnen ist weitestgehend leergefegt. Der Bedarf an Erziehern und Erzieherinnen ist in den letzten 10 Jahren massiv angestiegen – und das trotz sinkender Kinderzahlen. Während vor 10 Zahlen grob gesagt 1/3 der Kindergartenkinder einen Ganztagsplatz benötigten, sind es heute rund 2/3. Dazu kommt der Aufbau einer U3-Betreuung von unter 10 % auf heute um die 40 %. Die Folgen sind klar: arbeitslose Erzieher gibt es nicht mehr, es wird immer schwieriger, neue Kindertagesstätten mit Fachpersonal zu besetzen, gute Erzieher können sich ihren Arbeitsplatz zurzeit aussuchen.
Die Kehrseite der Medaille ist: aus der Not heraus werden auch solche Fachkräfte genommen, die ihren Abschluss nur mit Mühe geschafft haben, die vor 10 Jahren noch keinen Job bekommen hätten. Es ist ein Gesetz in Wirtschaft und Gesellschaft: steigt die Nachfrage sehr stark, sinkt auch immer die Qualität der nachgefragten Ware.

Die Gesellschaft ist im Wandel. Immer mehr Erziehungsarbeit wird von den Eltern auf die Gesellschaft übertragen, Erzieher und Pädagogen werden mit immer mehr Dingen konfrontiert, die früher das Elternhaus erledigt hat. Ein Beispiel: Zur meiner Kindergartenzeit gab es das nicht, dass ein Kindergartenkind noch nicht sauber war. Heute werden viele Kinder mit Pampers in den Kindergarten gebracht nach dem Motto: Liebe Erzieherinnen, seht mal zu, dass ihr mein Kind sauber bekommt.
Die Anforderungen an Erzieher und Pädagogen steigen also, die Qualitätsansprüche der Eltern sind hoch und die sollen jetzt durch kaum 20-jährige nach einer kurzen Ausbildung erfüllt werden? Das soll nicht heißen, dass alle staatlich anerkannten Erzieher nach Beendigung ihrer Ausbildung schlecht sind. Es soll nur auf ein Problem hinweisen. Der Beruf eines Erziehers/einer Erzieherin ist mit seinen Verdienstmöglichkeiten nur für wenige Abiturienten erstrebenswert. Es ist ein Fakt, dass die Zahl der Realschulabgänger seit Jahren rückläufig ist (eben weil die auch von den Verdienstmöglichkeiten interessanteren Berufe fast alle Abitur oder eine universitäre Ausbildung verlangen) und das zusätzlich das Leistungsniveau der Abgänger sinkt. Es wäre also blauäugig darauf zu vertrauen, dass der Markt die momentane Angebotsschwäche an Arbeitskräften von alleine regelt. Der Mangel wird bleiben. Auch ein Grund, warum es sehr schade finde, dass die Möglichkeit, im Erziehungsbereich auch Personal ohne Fachabschluss einzusetzen, in der verabschiedeten Version des Hessischen Kinderförderungsgesetzes wieder gestrichen wurde. Im Gegensatz zu Gewerkschaft und SPD bin ich nämlich der Meinung, dass diese Option die Qualität erhöht hätte. Darauf komme ich später noch einmal zurück.

Aber kommen wir zum eigentlichen Thema: zum Geld. Um den aufkommenden Fachkräftemangel im Erziehungsbereich entgegenzuwirken, hat der Erste Stadtrat Jörg Rotter vorgeschlagen (was nun von der Koalition auch beantragt wurde), das Gehalt aller Erzieherinnen um 2 Besoldungsstufen (entspricht der nächst möglichen höheren Eingruppierung) zu erhöhen. Ist das der richtige Weg?
Meine klare Antwort lautet: nein! Gesellschaftspolitisch ist das absurd, für Rödermark zum Teil verständlich und vielleicht langfristig sogar unvermeidlich, aber am Ende die definitiv falsche Entscheidung.
Die Marktwirtschaft führt hier in einem gesellschaftspolitischen Bereich zu einer Schieflage, die nicht gewollt ist und nicht sein darf. Fakt ist, wir haben einen Nachfragemarkt, d.h. ein Erzieher kann sich seine Stelle aussuchen. Seiner Wahl liegen verschiedene Kriterien zugrunde: Nähe zur Wohnstätte, Arbeitsbedingungen, soziales Umfeld, aber auch die Verdienstmöglichkeiten. Um die besten Köpfe in ihre Städte zu locken und einen Wettbewerbsvorteil zu haben, haben Städte, die es sich leisten können (wie z.B. Frankfurt und Neu-Isenburg), begonnen, mit höheren Gehältern zu locken – S8 statt S6 zum Beispiel. Das erhöht die Schwierigkeiten der umliegenden Gemeinden, geeignetes Personal zu finden zusätzlich. Um nicht abgehängt zu werden, erhöhen auch sie die Gehaltsgruppe – ob sie es sich leisten können oder nicht. So setzt sich diese Gehaltssteigerungswelle immer mehr ins Umland fort, bis der Vorteil der Initiatoren komplett weg ist und Frankfurt und Neu-Isenburg als Beispiel erneut die Gehälter anheben, um wieder einen Vorteil zu erhalten. Eine Gehaltsspirale wird in Gang gesetzt, die niemanden etwas bringt (außer den Erziehern). Einige Kommunen werden auf der Strecke bleiben, die Qualität in ihren Betreuungseinrichtungen wird abnehmen, Menschen werden abwandern. Durch eine Gehaltserhöhung wird nicht die Menge der insgesamt zur Verfügung stehenden Erzieher erhöht. Das Problem wird nur verlagert. Man kann als Kommune nur versuchen, bei der Verteilung der Arbeitskräfte durch höhere Anreize nicht zu den Verlierern zu gehören.
Die Gehaltserhöhungen führen also lediglich zu einem Kannibalismus unter den Kommunen, die Kommunen schaden sich mit dieser Politik letztendlich selber, weder die Quantität noch die Qualität der Betreuung nimmt dadurch zu.

Qualität hat ihren Preis, aber mit dieser Politik steigert man nicht die Qualität. Die Qualität würde man steigern, wenn man dem Erziehungsberuf mehr Anerkennung schenkt, wenn man die Ausbildung verbessert, wenn man die Ausbildung akademisiert, die Qualifikation verbessert. Heute reichen die mittlere Reife und eine dreijährige Ausbildung mit Betriebspraktikum, in anderen Ländern braucht man Abitur und ein dreijähriges Fachhochschulstudium mit anschließendem Praktikum. Erzieher ist dort ein Studienberuf mit entsprechender Bezahlung. Je höher die gesellschaftliche Anerkennung in Tateinheit mit der Entlohnung, desto höher auch der Anreiz auf junge Leute, diesen Berufsweg einzuschlagen. Richtig ist: auch heute kann man schon Erziehungswissenschaften studieren. Richtig ist aber auch: diese Personen würden nicht für S6 oder auch S8 arbeiten (S8 in der Stufe 1 sind 2330 € brutto, in der Stufe 6 immerhin auch 3540 €), denen müsste man schon etwa A10 bieten (2760 € – 4060 € bei den Gemeinden und 2790 € – 4010 € (Stufe 5) bei den Lehrern). Macht kaum eine Kommune freiwillig, weshalb der Arbeitsmarkt für Erzieher mit Hochschulabschluss sehr eng ist. Hier kann nur der Gesetzgeber gegensteuern.
Hier handelt es sich um die wichtigste gesellschaftspolitische Aufgabe, die Erziehung unserer Kinder. Wir vertrauen dieser Berufsgruppe unser wertvollstes Gut an, unsere Kinder. Die frühkindliche Bildung ist für die Entwicklung unserer Kinder von höchster Bedeutung. Bei entsprechender Ausbildung und Qualifikation bin ich gerne bereit, über deutlich höhere Gehälter zu sprechen. Warum nicht Erzieher in den Kindertagesstätten und Grundschullehrer in etwa gleichsetzen? Wo ist der Unterschied in der Verantwortung?
Aber hiervon lässt die Politik bisher ihre Finger. Warum? Weil es sich um einen langwierigen Prozess handelt, dessen positiven Ergebnisse erst weit nach dem nächsten Wahltermin sichtbar werden? Weil man damit in der 30-Jährigen Übergangsphase eine Zweiklassengesellschaft schaffen würde – Erzieher mit Studium und Erzieher ohne Studium – und die damit verbundenen Probleme umgehen mag? Weil die Lehrerlobby Angst hat, ihren Status zu verlieren, wenn die Erzieher zu ihnen aufschließen? Ich weiß es nicht. Ich meine dennoch, es wäre eine mutige und richtige Entscheidung.

Der Vorschlag von Jörg Rotter würde Rödermark über 200.000 € jährlich kosten, was in der derzeitigen Situation unverantwortlich erscheint. Was nötig wäre, wäre ein Agreement der Kommunalverbände, geschlossen nicht an der Gehaltsschraube zu drehen, um diesen für viele Kommunen verheerenden Prozess zu stoppen bzw. erst gar nicht in Gang zu setzen. Ja, es ist richtig, wenn alle umliegenden Kommunen mehr bezahlen, ist Rödermark faktisch gezwungen mitzuziehen. Aber warum muss sich diese Höhergruppierung auf den Bestand auswirken? Warum nicht einfach bei Neubesetzungen die höhere Gruppierung anbieten und den Bestand so lassen? Man könnte damit zwar wohl 90 % der Zusatzkosten der nächsten 5 Jahre einsparen, wird es aber aus Gründen des Betriebsfriedens nicht machen. Auch verständlich. Aber wäre es nicht auch ungerecht gegenüber anderen Mitarbeitergruppen, wenn nur eine Gruppe zusätzlich zu den normalen Tarifvertragsgehaltserhöhungen mehr Geld bekommen würde? Warum nicht auch die Mitarbeiter vom Bauhof? Oder die im Bürgerbüro? Es wäre so oder so ein Unikum, wenn eine hochverschuldete Stadt von sich aus, ohne Zwang von außen, die Gehälter von über 100 Mitarbeitern heraufsetzen würde.
Ich möchte noch auf ein weiteres Problem aufmerksam machen. Heute hat eine Erzieherin 3 Möglichkeiten, ihr Gehalt zu steigern: a) Sie hofft auf für sie gute Tarifabschlüsse, b) sie wird älter und kommt in eine höhere Stufe und c) sie erwirbt sich Zusatzqualifikationen (bilinguale Erziehung, Erziehung von Kindern mit Behinderung, Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten usw.). Damit kann man heute einen Aufstieg von S6 auf S8 oder gar S10 begründen (bei Erziehern mir Leitungsfunktion von S7 z.B. auf S9). Mit dem jetzt vorliegenden Vorschlag wird das Leistungsprinzip ‚mehr Qualifikation = mehr Gehalt’ außer Kraft gesetzt, es fehlt ein wichtiger Anreiz für Fortbildungen und Weiterqualifikationen, was bei den steigenden Anforderungen an die Berufsgruppe in die falsche Richtung geht.

Es gibt also viele Gründe, den jetzt eingeschlagenen Weg – einfach mehr Geld zu zahlen – für falsch zu halten. Welchen anderen Weg gäbe es, das Fachkräftemangelproblem zu lösen? Wie ich vorhin bereits gesagt habe, ist das Geld nur eines von vielen Kriterien für die Wahl einer Arbeitsstätte. Das Umfeld ist ein fast genauso wichtiges. Wie ist das Arbeitsklima? Wie ist die Flexibilität in Bezug auf Arbeitszeit? Kann mir der Arbeitgeber eine gewisse Vielfalt in den Tätigkeiten bieten? Gibt mir der Arbeitgeber die Möglichkeit, mich fortzubilden, Zusatzqualifikationen zu erwerben? Finanziert er mir diese vielleicht sogar? Ich weiß nicht, ob und in welchem Umfang diese Punkte in Rödermark zur Anwendung kommen, aber hier bietet sich für weniger Geld die Möglichkeit, einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen und auf der anderen Seite sogar noch die Qualität des Personals zu erhöhen.
Ein anderes Beispiel: in der Mitte des vorigen Jahrzehnts waren in einigen Fächern die Lehrer knapp, das Angebot konnte die Nachfrage bei weitem nicht decken. Nun kommt es nicht so gut, wenn man nur jede 3. Klasse in Physik unterrichtet. Also musste man sich als Land eine kreative Lösung einfallen lassen. Es wurden verschiedene Quereinsteiger­programme aufgelegt. So durften plötzlich auch Menschen, die bestimmte Qualifikationen mitbrachten aber nicht über 2 Staatsexamen verfügten, an den Schulen unterrichten. Und es meldeten sich genügend. Nur so konnte der Unterricht in Chemie, Physik, Informatik, Spanisch, Musik und Religion in der Zeit des Mangels aufrecht erhalten werden. So verfügen zurzeit z.B. weniger als die Hälfte der an der Nell-Breuning-Schule eingesetzten Physik- und Chemielehrer über eine normale Lehrerausbildung. Möglicherweise erreichen die Quereinsteiger nicht ganz das Niveau der ausgebildeten Fachlehrer. Das kann und will ich nicht beurteilen und hängt sicherlich von den Einzelpersonen ab. Aber selbst ein klein wenig schlechterer Unterricht ist besser als kein Unterricht. Dies wäre aus meiner Sicht genauso auf die Kindertagesstätten übertragbar. Würde man den Markt für Kräfte ohne die entsprechende Berufsausbildung öffnen – so wie es die Ursprungsversion des hessischen KiFöGs vorgesehen hat, könnte man den Mangel schnell beheben. Ich bin überzeugt, der Markt hat genügend erfahrene Personen auf Lager, die gerne in den Kindertagesstätten arbeiten wollen und das auch ohne Zweifel könnten. Man lässt sie nur nicht. Die freien Träger dürfen z.B. neben den staatlich anerkannten Erziehern auch ausgebildete Kinderpfleger einstellen. Das nimmt ihnen einen gewissen Druck aus dem Markt. Hat sich schon jemand über die mangelnde Qualität der U3-Einrichtung in der Bruchwiesenstraße beschwert, die meines Wissens nach zur Hälfte mit Kinderpflegern arbeitet? Nein! Es gibt auch keinen Grund dafür. Ich bin fest davon überzeugt: Hätte man den Passus, das bis zu 20 % fachfremde Kräfte in den Kitas arbeiten dürfen, nicht aus dem neuen KiFöG gestrichen, würden wir heute nicht über eine freiwillige Gehaltsaufstockung von S6 auf S8 diskutieren!

Falls bei der Lektüre dieses Exkurses der Eindruck entstanden sein sollte, ich würde den Erzieherberuf nicht achten und die Rödermärker Kinder würden von einem Haufen gerade der Pubertät entschlüpften, unterqualifizierten Gören betreut, die gerade so mit schlechten Noten die Ausbildung abgeschlossen haben, dem sei gesagt: das ist definitiv nicht so!! Es mag wie überall wenige solcher Einzelfälle geben, aber wir können uns glücklich schätzen, dass alle Kindertagesstätten über viele erfahrene Erzieherinnen (leider viel zu wenig Erzieher) verfügen, die ihren Aufgaben gewachsen sind und denen man guten Gewissens seine Kinder anvertrauen kann. Ich würde die Qualität (noch) als überdurchschnittlich hoch bezeichnen. Aber ob diese gehalten werden kann, wenn in den kommenden Jahren einige gestandene Fachkräfte in den Ruhestand gehen, erscheint fragwürdig. Insofern möchte ich dem Stadtrat auch keinen Vorwurf machen, dass er dieses aufkommende Problem frühzeitig erkannt hat und es angehen will. Ich halte nur seinen Lösungsvorschlag für den falschen, da er in meinen Augen Rödermark nur viel Geld kosten und am Ende weder quantitativ noch qualitativ etwas bringen wird.
Auch bin ich grundsätzlich der Meinung, dass der ErzieherInnenberuf aufgewertet gehört, auch finanziell an die gestiegene Verantwortung der Berufsgruppe angepasst wird. Aber bitte innerhalb eines Gesamtpaketes und nicht in einem kommunalen Alleingang.

Letzte Anmerkung: wie bei allen meinen Blogs habe ich mir bei Berufsbezeichnungen und ähnlichem die Nennung beider Geschlechtsformen geschenkt. Meine Blogs sind auch so schon lang genug und müssen nicht durch Wortverdoppelungen künstlich aufgebläht werden. Dafür mögen mich Feministinnen verurteilen (weil ich meist die männliche Form benutzt habe), aber dazu stehe ich, hier werde ich mich auch nicht mehr ändern. Ich finde das große „I“ mitten im Wort (wie exemplarisch im letzten Absatz einmal verwendet) furchtbar und nehme mir die Freiheit, darauf zu verzichten. Ich bitte das zu entschuldigen.

Dr. Rüdiger Werner
Rödermark, im Februar 2014