Blogbeitrag

Über den Umgang mit der AfD

Als regelmäßiger Leser des Blogs für Rödermark nehme ich bei den Kommentaren eine zunehmende Polarisierung wahr. Sobald man die Politik der Regierenden kritisiert, wird man gerne mit der AfD in Verbindung gebracht. Man macht sich gar nicht mehr die Mühe, die Kritik inhaltlich zu analysieren, die Argumente gegeneinander abzuwägen, man packt gerne die AfD-Keule aus und haut drauf. Dies ist kein Problem von rm-news.de, sondern ein allgemeines gesellschaftliches Problem mit großen Auswirkungen. Ich möchte die Personen, die gerne die AfD-Keule schwingen, einmal auffordern darüber nachzudenken, was sie damit bewirken. Das hat mich dazu veranlasst, die nachfolgenden Zeilen zu Papier zu bringen.

Politik ist seit jeher ein Austausch von Argumenten, ein guter Politiker hört zu, wägt die Argumente des anderen mit den eigenen ab und passt gegebenenfalls seine Meinung an. Erst, wenn man alle Argumente gehört und bewertet hat, kann man weise Entscheidungen fällen, gute Gesetze beschließen. Dazu muss es in einer Demokratie immer möglich sein, seine Meinung zu sagen. Man muss die Meinung nicht teilen, aber man muss sie ertragen können. Deutschland ist auf dem Weg, diese elementar wichtige Meinungsfreiheit zu verlieren.

Ist Abgrenzung und Ausgrenzung das richtige Mittel?

Wenn ich mit den Regierenden nicht zufrieden bin, und teile dies mit – in einem Interview, in einem Redebeitrag, in einem Blog, mit einem Post in den sozialen Medien – und werde dann von einer Gruppe von Personen beschimpft und in die AfD-Ecke gestellt (was ich nicht möchte, weil das einer gesellschaftlichen Ächtung gleichkommt), dann überlege ich mir doch sehr genau, ob ich meine Meinung noch einmal öffentlich äußere. Das führt dazu, dass die „normale, argumentative“ Kritik an den Regierenden abnimmt. Übrig bleibt die ideologische, systemische Kritik ohne Argumente, wie die Personen, die diese aussprechen, die beschriebenen Ächtungsängste nicht haben. Ich sehe also, es gibt weniger argumentative Kritik, ich bin aber weiterhin unzufrieden mit den politisch Handelnden, die Unzufriedenheit staut sich auf, wendet sich gegen alle etablierten Parteien und plötzlich macht der frühere SPD-, CDU-, FDP-Wähler sein Kreuz bei der AfD, der einzigen Partei, die sich all die Sachen zu sagen getraut, die man als Bürger der Mitte auch denkt, aber nicht mehr zu sagen wagt.

Den Fehler macht aber auch die Politik, die denkt, es gäbe nichts Schlimmeres als mit der AfD in einen Topf geschmissen zu werden. Also müssen wir uns abgrenzen und das geht am besten, wenn man die anderen ausgrenzt. Da wird gefordert, sich nicht mehr inhaltlich mit AfD-Anträgen auseinander zu setzen, sondern sie pauschal abzulehnen (solche Forderungen gibt es auch in Rödermark). Und wenn die AfD fordert, der Nikolaus kommt am 6. Dezember, dann wird das abgelehnt. Lieber kein Nikolaus mehr als der AfD recht geben. Auf die Idee, dass auch von einer Rechtsaußen-Partei wie der AfD ab und an vernünftige Vorschläge kommen, über die es sich lohnt nachzudenken, kommt man nicht mehr.

Diese zwanghafte Abgrenzung von der AfD kommt vor allem von Leuten, die sehr gerne bei jeder Kleinigkeit die Diskriminierungskeule schwingen. Dass sie mit dieser Art von Politik selbst diskriminieren, und zwar je nach Bundesland 10-35 % der Wähler, dass sie ein Fünftel der Bürger von der Meinungsbildung ausschließen, ins Abseits stellen, auf diese Idee kommt man nicht. Man hält sich moralisch für überlegen. Die Konsequenz aus diesem Verhalten ist eine immer stärker werdende Polarisierung der Gesellschaft, die auch bei uns zu Parallelgesellschaften führen kann.

Wer übernimmt heute noch politische Ämter?

Frage an die Rödermärker Bürger: wie viele Personen aus ihrer Heimatstadt kennen Sie, von denen Sie wissen, dass sie bei der CDU, der AL, der SPD, den Freien Wählern oder der FDP aktiv oder Mitglied sind? Bei den meisten wird die Antwort lauten: das sind einige. Wie viele Personen kennen Sie, die bei der AfD aktiv oder Mitglied sind? Bei den meisten lautet die Antwort: keine. Haben Sie sich einmal gefragt, woran das liegen könnte? Das liegt nicht daran, dass die AfD keine Mitglieder in Rödermark hat, die man kennen könnte. Die AfD hat hier vor Ort deutlich mehr Mitglieder als z.B. die FDP. Darunter auch viele Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, wie Handwerker und Gewerbetreibende. Der Unterschied ist: diese Personen stehen nicht zu ihrer Mitgliedschaft und Unterstützung, weil das einen Shitstorm und ihren wirtschaftlichen Ruin bedeuten könnte.

Das ist auch der Grund, warum die AfD bei Kommunalwahlen oft keine schlagkräftige Liste aufstellen kann: weil kaum einer öffentlich mit der AfD in Verbindung gebracht werden möchte. Weil er dann Ächtung und Diskriminierung befürchten muss. Das ist ein Debakel für die Demokratie und darf eigentlich nicht sein!

Ein kurzer Blick in die Geschichte der AfD zeigt die Konsequenzen. Die AfD wurde gegründet von liberalen Personen aus der Mitte der Gesellschaft, die mit der Fiskal- und Europapolitik der Bundesregierung nicht einverstanden waren. In diesen einen Punkt hatte man ähnliche Positionen wie NPD und Republikaner, weshalb schon sehr früh von den etablierten Parteien eine nicht vorhandene Nähe zu den Rechtsradikalen konstruiert wurde. Diese anfangs konstruierte Nähe machte die Partei für Rechtsliberale und enttäuschte Konservative attraktiv. Die AfD driftete langsam nach rechts. Rechtsradikale wie Björn Höcke erkannten schnell, dass sich hier eine politische Plattform auftut, die man mit der NPD niemals bekommen könnte. Die Gründergeneration quittierte die schleichende Übernahme von rechts mit Parteiaustritt. Umso stärker die AfD nach rechts abdriftet, umso mehr greift die Ächtung und Diskriminierung durch den Rest, umso weniger Personen sind noch bereit, sich öffentlich zur AfD zu bekennen. Übrig bleiben die wirklichen Rechtsaußen, die zu ihrer Haltung stehen und denen der Shitstorm nichts ausmacht. Das hat zur Konsequenz, dass die aktiven AfD-Politiker deutlich rechtsradikaler sind als ihre Wähler.

Wie kann man den Aufstieg der AfD in der Wählergunst rückgängig machen?

Klar, man kann den Politikstil ändern, die Menschen mehr mitnehmen und Ihnen weniger vorschreiben wollen, wie sie zu leben und zu denken haben. Die Antwort kann aus meiner Sicht aber eigentlich nur heißen: Um die Zustimmung zur AfD in der Bevölkerung (die eigentlich mehr eine Ablehnung der etablierten, sich von der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernenden Politik ist) zu reduzieren, muss man den Umgang mit ihr ändern. Man muss sie inhaltlich packen, ihnen argumentativ begegnen (so sinnlos es manchmal erscheint), man muss aufhören, sie auszugrenzen, man muss AfD-Politiker wie Politiker anderer Parteien auch als politische Gegner betrachten und nicht als Aussätzige. Unsere Demokratie sollte das aushalten.

Ich liege inhaltlich von der AfD meilenweit entfernt, wie jeder, der mich kennt, bestätigen kann. Ich muss und werde das auch nicht immer betonen. Ich kann mich der AfD trotzdem argumentativ stellen. Da ich den Admin der Webseite rm-news.de seit vielen Jahren kenne, kann ich das auch über ihn sagen. Ich kann ihn nur darin bestärken, weiterzumachen und Missstände zu benennen, Entscheidungen zu hinterfragen und seine Meinung offen zu vertreten. Ich kann für mich sagen, dass ich so gefestigt bin, dass ich Kritik und Shitstorm aushalte und bei meiner direkten, offenen Linie bleibe. Ich kann dem Admin nur zureden, es ähnlich zu halten.

Plädoyer für die Meinungsfreiheit

Niemand sollte in unserer Demokratie nur aufgrund seiner Meinung diskriminiert werden. Man sieht in vielen Ländern der Welt, wo das hinführt. Die Zahl der Autokraten war noch nie so hoch wie heute, die Meinungsfreiheit nimmt global gesehen immer mehr ab. Dem müssen wir uns entgegenstellen. Es sollte uns als Kunde, Vereinsmitglied oder bei unseren Posts in den Sozialen Medien egal sein, ob ein Ladeninhaber, Handwerker oder Gastronom die AfD wählt oder sogar Mitglied ist. Das macht seine Produkte, seine Dienstleistung oder seine Speisen nicht besser oder schlechter. Niemand sollte in den Vereinen nur aufgrund seiner politischen Gesinnung ausgegrenzt werden. Daher fordere ich an dieser Stelle zu mehr Toleranz auf. Hören wir auf damit, Personen nur aufgrund ihrer politischen Gesinnung zu ächten und zu diskriminieren!

Natürlich sollten wir dagegen vorgehen, wenn Personen aus diesem Kreis meinen, andere missionieren zu müssen. Ich diskutiere gerne mit jedem über politische Themen, der Spaß hört dort auf, wo ein Trainer, Gruppenleiter oder Lehrer seinen Schutzbefohlenen sein politisches Gedankengut einzupflanzen versucht.

Ich bin froh, dass es den Blog für Rödermark gibt, dass jeder, der sprachlich nicht ausfällig wird, mitdiskutieren und kommentieren kann, dass es keinen Maulkorb für Personen aus den linken und rechten Ecken gibt. Daher sollten auch Diskussionen über und mit der AfD weiterhin möglich sein. Ich kann die Diskussionsteilnehmer nur auffordern, die Konsequenzen ihrer Post im Auge zu behalten und sich in mancherlei Hinsicht zu mäßigen.

Über den Umgang mit der AfD in den Gremien

Wir als FDP Rödermark sagen ganz klar: wir setzen uns mit der AfD inhaltlich auseinander, mit uns wird es keine Ausgrenzung geben und ich werde ganz bestimmt nicht zum Rechtradikalen, nur weil ich mit einem AfD-Vertreter ins Gespräch komme. Natürlich ist es ein Prinzip der AfD-Politik, generell gegen das zu sein, was bei den etablierten Parteien, und dazu zähle ich auch die FDP, gerade en vogue ist. Daher gibt es bei den wichtigsten Themen auch kommunalpolitisch kaum Übereinstimmungen. Ich will aber nicht ausschließen, dass irgendwann eine Initiative der AfD kommt, die wir gut finden und die wir unterstützen werden. Ich kann die anderen Fraktionen nur auffordern, ähnlich zu verfahren und nicht pauschal alles abzulehnen, nur weil es von der AfD kommt.

Ich finde es auch fatal, dass die Bundesparteien beschlossen haben, Koalitionen mit der AfD kategorisch auszuschließen. Politik ist kein Wunschkonzert. Nicht, dass ich eine Koalition mit der AfD möchte, das möchte in der Tat keine der etablierten Parteien. Dazu ist die AfD (zumindest im Westen des Landes) viel zu ideologisch unterwegs und nicht gerade für ihre konstruktive Politik bekannt. Ich wehre mich nur gegen diesen kategorischen Ausschluss. Schauen wir uns Thüringen an. In diesem Bundesland wird in nicht ganz 14 Monaten gewählt. Nach aktuellen Umfragen haben die Linken von Ministerpräsident Bodo Ramelow und die AfD zusammen 54 % der Stimmen und 61 % der Sitze. Es gibt also keine Mehrheit jenseits der rechten und linken Parteien. Nun hat die CDU das Problem, dass sie Beschlüsse hat, weder mit der AfD noch mit der Linkspartei zu koalieren. Aus diesem Dilemma kommt man kaum heraus. Natürlich kann man erneut den linken Ministerpräsidenten mitwählen und ansonsten mit wechselnden Mehrheiten ohne feste Koalition arbeiten. Politisch stehen die CDU-Wähler der AfD aber nun mal deutlich näher als der Linkspartei, weshalb eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei viel weniger Rückhalt hätte als eine Zusammenarbeit mit der AfD. Mein Rat an die CDU wäre daher, diesen kategorischen Ausschluss einer Zusammenarbeit zu überdenken. Erst, wenn diese Ausgrenzung aufhört, sehe ich auch die Chance, dass die CDU wieder massiv Wähler von der AfD zurückgewinnt.

Fazit

Ich befürchte, dass meine Überlegungen nicht dazu beitragen werden, den Trend umzukehren. Man wird mich für diese Überlegungen verurteilen. Da stehe ich allerdings darüber, denn mein Demokratieverständnis ist nicht verhandelbar.

Ich befürchte aber eine weitere Polarisierung der Bevölkerung wie es sie z.B. in den USA längst gibt. Wenn dann noch eine charismatische Person auftaucht, wie es Donald Trump für die Republikaner ist, könnte es auch in Deutschland dazu kommen, dass Populisten tatsächlich an die Macht kommen.

Noch haben wir alle gemeinsam die Möglichkeit, uns entgegenzustellen. Das hat auch etwas mit Mut und der Überzeugung zu tun, dass unser Grundgesetz weiterhin der richtige Rahmen für unser Land ist und es sich lohnt, dafür zu streiten.

Dr. Rüdiger Werner
FDP Rödermark
Rödermark, 20.07.2023