Blogbeitrag

Bahnübergang Ober-Roden: schienengleich oder Unterführung?

Eine Offensive von Bürgermeister Jörg Rotter ist seit 2 Wochen das Gesprächsthema in Rödermark. Gibt es eine Chance, die langen Schrankenschließzeiten in Ober-Roden dadurch zu umgehen, dass es gut 25 Jahre nach der Stadtverordnetenentscheidung und 17 Jahre nach dem Bau doch noch eine 2. Chance für eine Unterführung gibt. Eine geplante Gesetzesänderung im Bund weckte hier zarte Hoffnungen, die von den meisten politischen Fraktionen gleich im Eifer des Aktionismus aufgegriffen wurden. Gleich 2 Fraktionen stellten dazu Anträge an die Stadtverordnetenversammlung (SPD und Freie Wähler), die CDU war der Auslöser der aktuellen Debatte und steht für eine ergebnisoffene Prüfung, während die AL/Die Grünen wie schon damals eine Unterführung ablehnen. Einzig die FDP hat noch nichts zu der neuerlichen Debatte beigetragen. Was möchte die Rödermärker FDP? Dieser Beitrag soll hierzu Aufklärung und auch ein wenig mehr Vernunft in die Debatte bringen.

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Blogbeitrag

Was Zebrastreifen mit einem freiheitlichen Lebensentwurf zu tun haben

In den letzten 2 Wochen hat eine Posse um Dutzende temporäre Zebrastreifen in Rödermark das Sommerloch gefüllt. Da diese Posse auch etwas mit dem Ansehen von Verwaltung und Politik beim Bürger zu tun hat und ich von Anfang an damit zu tun hatte, habe ich dazu diesen Blogbeitrag verfasst. Ich habe als Privatperson in diesem Zusammenhang zwei Antwortschreiben aus dem Ordnungsamt erhalten. Ich werde weder die Verfasser nennen, noch wörtlich daraus zitieren. Da die Aussagen aber einen Teil des Problems darlegen, habe ich mich entschlossen, die Antworten zumindest teilweise in eigenen Worten wiederzugeben. Die Verfasser mögen es mir bitte verzeihen. Auch, dass ich mir Polemik und Sarkasmus an der einen oder anderen Stelle nicht verkneifen konnte. Ich möchte niemanden persönlich angreifen, ich möchte nur gerne die Denkweise in der Verwaltung etwas verändern.

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Meinung

Faktencheck zum Rodauprojekt der Stadt an der Rilkestraße

Faktencheck zum Rodauprojekt der Stadt an der Rilkestraße
Am 11. Dezember stimmt die Stadtverordnetenversammlung über einen Nachtragshaushalt und ein Grundstücksgeschäft ab. Die FDP-Fraktion hat zu diesem Thema einen Faktencheck durchgeführt und das Für und Wider für sich abgewägt. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, Nachtragshaushalt und Grundstücksgeschäfte abzulehnen. Lesen Sie hier die Details.

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Meinung

Stellungnahme der FDP Rödermark zu „FDP hat der Stadt geschadet“ aus OP vom 3.9.2018

In seiner Stellungnahme zur Diskussion um ein Gymnasium in Rödermark offenbart Bürgermeister Kern die ganze Schizophrenie seiner Grünen und der ihn tragenden grün-schwarzen Koalition. Völlig korrekt erklärt er, er würde nicht ständig im Kontakt mit Landrat Quilling stehen und die Forderung nach einer weiteren weiterführenden Schule in Rödermark vortragen, weil es dazu keine Legimitation sprich keinen Stadtverordnetenbeschluss gäbe. Um das zu ändern, wollten die FDP und die Freien Wähler genau diesen fehlenden Beschluss herbeiführen, was von CDU und Grünen verhindert wurde, u.a. mit der Begründung, die gemeinsame Stellungnahme zum Schulentwicklungsplan vom Mai 2018 sei Legitimation genug, man brauche keinen weiteren Beschluss. Mit seiner Stellungnahme unterstreicht Bürgermeister Kern also geradezu die Wichtigkeit und Richtigkeit des Antrages von FDP und FWR.

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Meinung

Realistische Betrachtung = Fetischismus der FDP? Bürgermeister Kern verweigert sich schlichtweg den Realitäten!

Gegendarstellung

In einem aktuellen Pressebericht wirft Bürgermeister Kern der FDP einen „irrealen Straßenbaufetischismus“ vor. Dieser absurden Wortschöpfung treten die Rödermärker Liberalen entschieden entgegen. „Die Koalition möchte in den nächsten 10 Jahren maximal 1 Mio. € pro Jahr für Straßensanierungen zur Verfügung stellen. Allein für die Sanierung der 38 Straßen auf der Dringlichkeitsliste der Bauverwaltung würde man danach rund 20 Jahre brauchen“, schimpft FDP-Fraktionsvorsitzender Tobias Kruger. „In Rödermark gibt es aber nicht nur 38 Straßen, sondern rund 330. Dafür würde die Stadt nach dieser Vorgabe über 150 Jahre brauchen. Dann haben wir Straßen wie im Mittelalter und dazu kommt, dass auch Elektroautos, für die unlängst in der Stadt erste Elektrotankstellen eingerichtet wurden, ordentliche Straßen zum Fahren benötigen.“

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Meinung

Meinung zur Kindergartengebühr

M E I N U N G
Warum ich gegen die komplette Abschaffung von Kindergartengebühren bin:
Lesen Sie hier die Meinung von Dr. Rüdiger Werner.
 
 
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Blogbeitrag

Warum ich gegen die komplette Abschaffung von Kindergartengebühren bin

Die hessische Landesregierung hat entschieden: ab dem 1.8.2018 sind die ersten 6 Betreuungsstunden in hessischen Kindertagesstätten für die Eltern von 3-6-jährigen Kindern kostenfrei. Bisher war das nur im letzten Kindergartenjahr der Fall. Einzelne Kommunen nehmen das zum Anlass, um die komplette Gebührenfreistellung für die Eltern zu fordern oder dies sogar einzuführen.
Ich möchte in diesem Blogbeitrag darlegen, warum ich das für den falschen Ansatz halte und gegen die komplette Freistellung der Eltern von den Betreuungskosten bin.

Ist-Situation: Kinderbetreuung größter Ausgabenpunkt für die Kommunen
Kinderbetreuung verursacht Kosten. Hohe Kosten. Die Kosten für Kinderbetreuung sind in den letzten 10 Jahren weitaus stärker gestiegen als die Lebenshaltungskosten. In manchen Kommunen haben sie sich verdoppelt.
Das hat mehrere Gründe: zum einen hat der Gesetzgeber die Standards mehrfach erhöht, insbesondere in Hinblick auf Gruppengröße und Betreuungsschlüssel, d.h. die Zahl der betreuten Kinder pro Erzieher hat sich verringert, wodurch bei gleicher Kinderzahl mehr Erzieher eingestellt und bezahlt werden müssen. Eine weitere Erhöhung des Betreuungsschlüssels erfordert die Inklusion von Kindern mit geistigen oder körperlichen Einschränkungen sowie die verstärkte Integration von geflüchteten Kindern ohne Sprach- und Kulturkenntnisse. Hinzu kommt im Rhein-Main-Gebiet der ständige Zuzug von erwerbstätigen Personen, die oft bereits kleine Kinder haben oder diese noch bekommen werden. Im Vergleich mit vor 10 Jahren steigen also auch die absoluten Kinderzahlen.

Der Mehrbedarf an Erziehungspersonal hat den Arbeitsmarkt leergefegt, es gibt zu wenig qualifizierte Erzieher, weshalb Arbeitgeber wie Gewerkschaft durch überdurchschnittliche Lohnerhöhungen Anreize schaffen wollen, diesen Berufsweg einzuschlagen. Die Lohnkosten für die Erzieher sind in der Kinderbetreuung der größte Posten.
Und natürlich ist ein ganz wichtiger Grund für die Verteuerung der stetig steigende Betreuungsbedarf der Eltern, gerade im U3-Bereich. Ob der berechtigte Wunsch nach Selbstverwirklichung oder die schlichte Notwendigkeit eines doppelten Einkommens – die Zahl der Familien, wo beide Eltern erwerbstätig sind, steigt stetig – und damit auch der Betreuungsbedarf. Z.B. werden Halbtagsplätze kaum noch nachgefragt, der Trend geht zur Ganztagsbetreuung.
Bei manchen Kommunen, wie z.B. Rödermark, sorgt das dafür, dass mittlerweile rund die Hälfte aller kommunaler Ausgaben in die Kinderbetreuung gehen.
Wer trägt die Kosten? Der Elternbeitrag, den die Eltern über die Kinderbetreuungsgebühren leisten, deckt weniger als 15 % der Gesamtkosten. Diverse Fördertöpfe, vor allem des Landes, z.B. für Inklusion und Integration, decken aktuell etwa den gleichen Anteil. Der Kostenanteil, der an den Kommunen hängen bleibt, liegt meist bei 70 % und mehr.
Jede Tariferhöhung, jede Erhöhung der Betreuungsstandards belastet Kommunen wie Rödermark sehr stark und verringert den finanziellen Spielraum für andere wichtige kommunale Aufgaben.

Grund 1: Wertschätzung für eine Leistung
Das führt mich zu meinem ersten Grund der Ablehnung der kompletten Freistellung. Die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder sollte für Eltern ein sehr hohes Gut sein und eben nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Im Moment geben deutsche Eltern je nach Bundesland etwa 5-10 % Ihres Einkommens für Betreuungskosten aus. Auch wenn es weniger als 15 % der tatsächlichen Kosten sind, ist das schon eine deutlich spürbare finanzielle Belastung. Aber die gute Unterbringung ihrer Kinder ist es den Eltern Wert. Ich höre immer wieder von Eltern, ob zu der Zeit, als meine Kinder noch im Kindergarten waren oder auch heute, dass diese bereit wären, sogar noch deutlich mehr Geld zu bezahlen, wenn dadurch die Qualität steigen würde, wenn ihre Kinder noch besser auf das Leben vorbereitet werden würden. Den meisten Eltern ist der Inhalt wichtiger als die Kosten. Nicht allen, dass ist klar, denn eine ganze Reihe von Eltern hat sicherlich Probleme, die Betreuungsgebühren aufzubringen. Schon heute zahlt die Sozialkasse des Kreises die Gebühren von über 10 % der Kinder. Die genaue Zahl wurde für Rödermark schon mehrfach durch parlamentarische Anfragen erfragt. Sie hat sich – zumindest vor dem massiven Zuzug von Geflüchteten – in den letzten Jahren nicht erhöht.

Bei monatlichen Mehrkosten von rund 180 € (inkl. Essen) überlegen es sich manche Eltern schon, ob es die Ganztagsbetreuung sein muss oder ob sich ein Halbtagsplatz mit den eigenen Lebensumständen nicht auch kombinieren lässt. Fällt dieser Betrag weg, wird von vielen das Maximalangebot angenommen – ob es nun benötigt wird oder nicht. Es ist also davon auszugehen, dass bei einem kompletten Wegfall der Gebühren die Kosten für die Kommunen nicht nur durch die Übernahme dieses Elternanteils steigen (insgesamt zahlten die Eltern in Rödermark 2017 rund 1,5 Mill. €, davon zahlt das Land ab 1.8.2018 wohl rund 1,15 Mill. €, d.h. wir reden über mind. 350,000 € hypothetische Mindereinnahmen oder Mehrkosten für die Stadt), sondern auch durch eine weitere Erhöhung des Anteils an Ganztagsplätzen (Größenordnung schwer zu schätzen, vielleicht 20.000-50.000 € jährlich).
Was nichts kostet, ist nichts wert. Wenn etwas nichts kostet, umsonst ist, geht der Mensch verschwenderischer damit um. Man muss sich nur einmal anschauen, wie viel Speisen auf den Tellern in einem All-inclusive-Hotel zurückbleiben, und das mit einem Restaurant vergleichen, wo der Gast selbst zahlt, was er bestellt. Ein beschämend großer Unterschied. Die Wertschätzung des Produkts kommt auch mit der Bezahlung. Ein sich daraus ergebender, wesentlicher Aspekt ist: wenn ich für etwas bezahle, dann fühle ich mich auch im Recht, wenn ich Gegenleistungen einfordere, ich mische mich viel mehr ein, kontrolliere, fordere, was schließlich mit dafür sorgt, dass sich die Qualität des Produktes erhöht. Schmeckt in einem Restaurant das Essen nicht, ist das Fleisch nicht durch, dann beschwere ich mich in der Regel, lasse es zurückgehen, fordere eine adäquate Gegenleistung für mein Geld. In einem All-inclusive-Restaurant gibt es solche Beschwerden praktisch nicht, man hätte sich ja auch etwas anderes aussuchen können und hat ja nur indirekt dafür bezahlt. So jedenfalls meine Beobachtung.

All das sind Gründe dafür, dass ich immer dafür sein werde, dass ein gewisser Elternbeitrag geleistet werden sollte.

Grund 2: Erziehung und Bildung – unser wertvollstes Gut
Nun werden Argumente kommen wie: Aber für die Schule zahle ich doch auch nichts. Das ist richtig und soll auch so bleiben. Aber die Schule übernimmt Bildungsaufgaben, die die Eltern/die Familie in dieser Form nicht übernehmen können. Das ist in der Kinderkrippe und im Kindergarten nicht der Fall.
Am besten für die Zukunft gerüstet sind nach meiner Auffassung Kinder, die vormittags in den Kindertageseinrichtungen ihre Sozialkompetenz entwickeln und soziale Kontakte aufbauen und an den Nachmittagen von der Familie individuell betreut, gefördert und erzogen werden. Diese ideale Ausgangsposition haben heute leider nur noch wenige Kinder, da Familien über den Globus verstreut leben, oft beide Eltern ganztags arbeiten müssen und auch die Kompetenz, die eigenen Kinder zu fördern und zu erziehen, bei vielen Eltern leider nicht mehr in ausreichendem Maße vorhanden ist. Dieses Vakuum der Förderung und Erziehung in vielen Elternhäusern muss heutzutage die Betreuungseinrichtung Kindertagestätte übernehmen, die damit zur Erziehungs- und Bildungsstätte wird. Die Frage ist: kann sie das leisten? Reicht das, was unsere Kindertagesstätten heute anbieten, aus?

Die Antwort, die vielen Politikern und Erziehern nicht gefallen wird, lautet eindeutig: nein!
Um das zu erklären, muss ich etwas weiter ausholen.
Deutschland ist ein hochentwickeltes Land mit wenig Rohstoffen und relativ wenig Platz für relativ viele Menschen. Die Welt ist trotz Trump und andere Spinner eine globale geworden, alles hängt mit allem zusammen, steht miteinander im Wettbewerb. Das wird auch in Zukunft so bleiben und sich eher verstärken. Deutschland kann in diesen globalen Wettbewerb keine Rohstoffe einbringen, keine Energieträger, kann sich mit seinen Agrarprodukten kaum selbst ernähren und wird auch im Tourismus nie ganz an der Spitze stehen. Unser Rohstoff, um in diesem Wettbewerb bestehen zu können, ist Bildung. Gebildete Köpfe, die für Innovation und Entwicklung stehen. Darauf wird in Zukunft unser gesamter Wohlstand beruhen. Und deshalb habe ich auch etwas Angst vor der Zukunft, weil unser Bildungssystem diesen Rohstoff viel zu wenig fördert. Denn unser Bildungssystem hat viele Schwächen, hat nicht den Stellenwert, den es haben sollte. Trotz guter Ausgangslage mit Einnahmeüberschüssen haben die Koalitionäre in Berlin lieber die Transfergesellschaft gestärkt, in dem viele weitere Milliarden € permanent in unsere Sozialsysteme gepumpt werden. Für die Bildung wird hingegen weniger ausgegeben. Der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ist zwischen 2013 und 2017 zwar um 4 Mrd. € auf 17,6 Mrd. € gestiegen, sinkt aber 2019 leicht um rund 60 Mill. €. 6 Mrd. € davon gehen an die Bundesforschungsinstitute und die Bundeszuschüsse an die Länder für die Hochschulen bewegen sich in ähnlicher Größenordnung.
Da Bildung Ländersache ist, spiegelt der Etat des BMBF nur einen Teil der Medaille wider. Insgesamt gibt Deutschland 2018 rund 140 Mrd. € für Bildung aus. In Relation zur Bedeutung des Landes ist das immer noch deutlich zu wenig. 5,3 % des BIP gibt Deutschland aktuell aus, nötig wären meiner Meinung nach mindestens 7 %.

Wenn ich von mehr Geld für Bildung spreche, meine ich damit nicht, dass die Kommunen noch mehr belastet werden. Das wichtigste ist, ein komplett neues Finanzierungsmodell zu entwickeln, dass wesentlich mehr Geld als heute bereitstellt, den Kommunen aber wieder mehr Spielräume schafft, sich um ihre anderen, ebenfalls wichtigen Aufgaben zu kümmern, sie aber trotzdem mitbestimmen können.
Wie das Modell aussehen kann, kann ich nicht sagen, aber das neue Finanzierungsmodell ist Voraussetzung für das nachfolgend Gesagte.

Was sollte mit dem zusätzlichen Geld gemacht werden?
Kosten entstehen im Personalbereich und bei der Infrastruktur. Beides muss verbessert werden.
Im Personalbereich gibt es zurzeit 2 wesentliche Probleme.
Zum einen kam der Bedarfsanstieg an Betreuungspersonal in den letzten 10 Jahren zu abrupt, als dass der Arbeitsmarkt das mit normalen Mechanismen auffangen könnte. Es fehlen geeignete Erzieher, der Markt ist schon heute leergefegt, auch ohne weitere Anhebung von Betreuungsschlüssel ist es nicht möglich, alle Stellen zu besetzen. Daraus ergibt sich ein weiteres, nicht minder schweres Problem. Normalerweise sucht sich der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer aus, dass heißt, unter allen Bewerbern wird er diejenigen auswählen, die die besten Vorleistungen erbracht haben und die seiner Meinung nach die höchstmögliche Arbeitsqualität garantieren. In einer Notsituation, wie aktuell dem akutem Arbeitskräftemangel, bleibt ihm nichts anderes übrig, als auch die Bewerber einzustellen, die er eigentlich für wenig bis nicht geeignet hält. Es ist daher davon auszugehen, dass heute in den Kindergärten vielleicht jeder Zehnte nicht dort arbeiten würde, wenn es mehr Auswahl auf dem Arbeitsmarkt gegeben hätte. Das geht zu Lasten der Qualität.
Zum anderen kommt der Inhalt der Ausbildung zum Erzieher aus meiner Sicht den gestiegenen Anforderungen an den Beruf nicht nach.

Auch die Infrastruktur vieler Kindertagesstätten ist nicht mehr zeitgemäß. In den 60er/70er Jahren erbaute Einrichtungen verfügen neben den Gruppenräumen in der Regel über viel zu wenig Differenzierungsräume, sind oftmals auch nicht für den Ganztagesbetrieb ausgelegt (z.B. fehlende Küche).

Kindertagesstätten von heute sollten längst nicht mehr nur Betreuungseinrichtungen sein, sie müssen sich zu Bildungseinrichtungen wandeln und den Rückzug vieler Eltern aus Förderung und Erziehung auffangen. Es wird zwar viel über frühkindliche Bildung geredet, aber die Umsetzung in der Praxis ist schwierig.

Was sollte geändert werden?
Grundschullehrer müssen Abitur haben und eine akademische Ausbildung nachweisen, Erzieher nicht. Wo ist der Unterschied im Aufgabenfeld? Sicherlich nicht im Inhalt der Lehre – für die Mathematik bis Klasse 4 muss man nicht unbedingt studiert haben. Wo ist heute der Unterschied im Aufgabenbereich und in der Verantwortung? Ich sehe keinen mehr, der den Gehaltsunterschied zwischen S8 und A12 rechtfertigt. Warum nicht also eine akademische Ausbildung auch für Erzieher, mit klarem Schwerpunkt auf Pädagogik und Psychologie, mit einer an das Referendariat angelegten Praxiszeit und dem Erwerb eines des Staatsexamens vergleichbaren Zertifikats? Das würde der gestiegenen Verantwortung entsprechen und muss natürlich entsprechend bezahlt werden. Und damit in Zukunft auch die Attraktivität des Berufs steigern.
Außerdem muss bei den vielfältigen Aufgaben in der Kita auch beim Personal eine Differenzierung her. Hier sträuben sich leider die Gewerkschaften. Aber ich bin der Meinung, der reine Betreuungsanteil an der Kita-Arbeit kann auch von dafür ausgebildeten Betreuern oder sogar Ungelernten übernommen werden. Diese Betreuer würde ich als Zusatzpersonal sehen, die den Betreuungsschlüssel für Erzieher nicht verändern.
Und man muss weiter differenzieren. Für manche Fälle reicht auch ein Pädagogikstudium nicht. Kinder kommen teilweise aus nicht funktionierenden Familien, haben massive Schwierigkeiten, sich in Gruppen zu integrieren. Daher sollte in jeder Kita auch ein Sozialpädagoge arbeiten.
Weiterer Bedarf entsteht durch die Inklusion von Kindern mit Beeinträchtigungen und durch Kinder aus anderen Kulturen, die der deutschen Sprache noch nicht mächtig sind. Hierzu muss es geeignete Qualifikationsmöglichkeiten für Erzieher geben, um diesen Anforderungen im Alltag gerecht werden zu müssen. Bei entsprechender zusätzlicher Vergütung.
Insgesamt würden diese Maßnahmen fast zu einer Verdopplung des Personals führen.

Dazu braucht es aber auch Anpassungen bei den Räumlichkeiten. Das mehr an Personal ermöglicht auch ein verstärktes direktes Beschäftigen mit dem einzelnen Kind. Diese Differenzierung braucht auch eine noch stärkere Differenzierung in den Räumen, Rückzugsräume, Einzelgesprächsräume, Lernräume für Kleingruppen, aber auch Rückzugsräume für das Personal. Nur so, mit diesem viel stärkeren Personal- und Raumeinsatz, wird es in Zukunft möglich sein, die Erziehung und Förderung der einzelnen Kinder so wahrzunehmen, dass diese die bestmöglichen Chancen haben, ihre Schulzeit erfolgreich zu bestreiten (auch hier müssten ganz massive Änderungen her; dazu an anderer Stelle mehr) und später ein selbstbestimmtes Leben zu führen – und das unabhängig von den Unterstützungsmöglichkeiten ihres Elternhauses.

Erwiesenermaßen ist die frühkindliche Phase prägend, Versäumnisse bei Förderung und Erziehung in dieser Phase sind später kaum noch auszugleichen. Diese prägende Phase wird immer mehr in die Hände der Kindertageseinrichtungen gelegt. Doch Finanzierungsprobleme, Personalfindungsprobleme und andere Komplikationen führen dazu, dass die Politik ihr Hauptaugenmerk darauf richten muss, überhaupt jedem Kind einen Platz anbieten zu können. Das wichtigste ist, das Kind ist irgendwie unter, mit der Konsequenz, dass unsere heutigen Kindertageseinrichtungen meist nur eine reine Betreuungseinrichtung sind und das Konzept der frühkindlichen Bildung nicht wirklich greift. Wenn hier nicht bald ein Umdenken stattfindet – und damit meine ich nicht Rödermark, sondern eher Berlin oder Wiesbaden – verspielen wir unsere Zukunftschancen im globalen Wettbewerb.

Unser gesamtes Bildungssystem hat massive strukturelle Probleme. Die beschriebenen im Kinderbetreuungsbereich sind nur ein Teil davon. Und diese Probleme löst man ganz sicher nicht dadurch, dass man dem Wahlvolk ein Geschenk macht, auf Elternbeiträge bei den Betreuungskosten verzichtet und glaubt, dadurch die Welt besser gemacht zu haben.

Dr. Rüdiger Werner
Rödermark, 3. Juni 2018

(Anm.: wie Sie beim Lesen meiner Blogs merken, bin ich ein Genderisierungsverweigerer. Ich habe weder die Zeit noch die Lust, alle Begriffe in jeder denkbaren Geschlechtsform auszudrücken. Wenn ich z.B. von Erziehern spreche, schließe ich damit weibliche Erzieherinnen, männliche Erzieher und alle Zwischenformen mit ein. Das ist nicht anti-feministisch, das ist pragmatisch. Man möge es mir nachsehen.)

Meinungen / Blog.
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Diskussion um einen Edeka-Markt in Rödermark

Für Blogartikel sind die jeweils benannten Autoren allein verantwortlich.
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Die Diskussion um einen Edeka-Markt in Rödermark ist entbrannt. Die meisten Fraktionen haben sich in der Presse dazu mittlerweile geäußert. Gerade die Äußerungen des Bürgermeisters in der Stadtverordnetenversammlung am 20. März 2018 sowie die Pressemeldungen von AL/Grüne und CDU stoßen bei mir zum Teil auf großes Unverständnis. Daher möchte ich hier ein paar eigene Gedanken in die Diskussion einwerfen.

Braucht Rödermark einen Edeka?
Brauchen nicht unbedingt, aber er würde uns gut tun. Im letzten Jahr aktualisierten Einzelhandelskonzept, dass wir von der FDP nicht gewollt haben, weil es keine neuen Erkenntnisse bringt und uns in unserer Entscheidungsfreiheit einschränkt, ist zu lesen, dass in Rödermark genug Kapazität und Kaufkraft für einen weiteren Lebensmittelvollsortimenter vorhanden ist. Bevorzugter Standort: Ober-Roden Nord. Mit 5 Discountern, einem Biomarkt, einem großen, aber nicht hochwertigen Vollsortimenter (Kaufland) und einem kleineren hochwertigen Vollsortimenter (Rewe) ist Rödermark zwar passabel versorgt, dennoch verliert Rödermark auch im Lebensmittelhandel deutlich Kaufkraft an umliegende Gemeinden. Vor allem Tegut (z.B. in Dietzenbach), Edeka (z.B. in Dudenhofen und Münster) und die großen Rewe-Center in Dudenhofen und Dietzenbach ziehen Rödermärker Käufer an (daneben noch real,-, Selgros und Penny). Der Abfluss wird vom Zufluss aus Eppertshausen, Messel und Offenthal bei weitem nicht ausgeglichen. Man kann also festhalten: ein hochwertiger Vollsortimenter mit einem überdurchschnittlichen Bio-Anteil fehlt in Rödermark. Das würde funktionieren. Natürlich würde der Markt auch Kaufkraft von bestehenden Märkten, v.a. Rewe und dem Biomarkt, abziehen, aber nach meiner Auffassung würde der Großteil des Umsatzes mit Käufern gemacht, die bisher außerhalb Rödermarks einkaufen. Alle sollten ein sicheres Auskommen haben.

Wie sieht der ideale Standort aus?
Der ideale Standort für einen großen Vollsortimenter ist etwa 10.000 m2 groß, bietet damit neben dem Lebensmittelgeschäft (z.B. 2000 m2 Verkaufsfläche) Platz für 2-4 weitere kleinere Einzelhandelsketten und liegt in einem Gewerbegebiet. In einem Gewerbegebiet ist die Infrastruktur meist gut und vorhanden, die Straßen sind breit, so dass Liefer- und Kundenverkehr guten Zugang haben, und es gibt keine Probleme mit Lärmfragen, z.B. bei früher Anlieferung. Ideal wäre auch die räumliche Nähe zu weiteren Einzelhandelsflächen, weil dann genauso mit höherem Kundenverkehr zu rechnen ist wie bei kurzen Wegen zu Wohngebieten. Um auch Durchgangsverkehr anzulocken, ist die Lage an einer Durchgangsstraße von großem Vorteil.
Merken Sie was? Vergleichen Sie die Kriterien mal mit dem von Edeka gewünschten Standort in der Max-Planck-Straße …

Gibt es in Rödermark ideale Standorte?
Wenn man die Kriterien anschaut und dazu eine Realisierung in den nächsten 5 Jahren anstrebt (d.h. es muss ein Gebiet sein, in dem schon Baurecht besteht oder aber zeitnah geschaffen werden kann), gibt es in Rödermark 3 gute Standorte. Das sind die Max-Planck-Straße und die Paul-Ehrlich-Straße (jeweils die an den Rödermarkring angrenzende Seite) im Gewerbegebiet Ober-Roden sowie die Ecke Kapellenstraße/Rödermarkring gegenüber der Feuerwehr. In Urberach gibt es aktuell keine auch nur annähernd vergleichbar gute Standorte.

Vergleich der potenziellen Standorte
Ich möchte nun kurz die beiden genannten Standorte vergleichen und Vor- und Nachteile abwägen.
 
Max-Planck-Straße: Breite Straße, verkehrlich von 3 Seiten erreichbar, Hauptzuträger ist der Rödermarkring. Bisher weder an der Ein-/Ausfahrt Albert-Einstein-Straße (Vorfahrt achten) noch an der Senefelderstraße (Ampel) Verkehrsprobleme, d.h. kurze Wartezeiten, keine Schlangen. Die Ansiedlung weiterer attraktiver Einzelhandelsflächen würde nicht zu einer deutlichen Verschlechterung führen, eventuell muss man an der Senefelderstraße in Stoßzeiten mal eine Ampelschaltung mehr warten. Verkehrstechnisch sind also überhaupt keine Probleme erkennbar. Die Nähe zu den Discountern und anderen Geschäften sorgt für Synergieeffekte, kurze Wege, man spart sich Zusatzfahrten zu Rewe oder anderen Vollsortimentern außerhalb Rödermarks. Hohe Attraktivität gerade für die Bewohner des Breiderts und von Ober-Roden Süd. Die Märkte sind vom Rödermarkring aus gut sichtbar, der Standort ist damit gerade für Pendler auf dem Heimweg sehr attraktiv und spricht auch Durchreisende gut an. Negativ sind prinzipiell der Wegfall von Gewerbefläche in der Kernzone des Gewerbegebietes und vor allem die aktuelle rechtliche Unzulässigkeit. Es müsste der Bebauungsplan geändert werden, wozu die Zustimmung von Regierungspräsidium und Regionalverband eingeholt werden muss. Hier könnte es Probleme geben (vor allem weil laut Einzelhandelskonzept in Ober-Roden Süd kein weiterer Standort benötigt wird), muss aber nicht.
 
Kapellenstraße: Anlieferung und Kundenverkehr über Kapellenstraße, Hauptzufluss und -abfluss über den Rödermarkring. Auch hier sind keine größeren Verkehrsprobleme zu erwarten, es müsste vermutlich die Ampelschaltung an der Kapellenstraße angepasst werden, was zu etwas längeren Ampelstandzeiten auf dem Rödermarkring führt. Der Standort bietet keine Synergieeffekte mit anderen Lebensmittelhändlern. Er ist aber von den Stadtteilen Waldacker und Messenhausen bestens zu erreichen, profitiert von der Nähe zur Schule und ist fußläufig von den zukünftigen Bewohnern des benachbarten Wohnbauprojekts erreichbar. Ober-Roden-Nord ist im Einzelhandelskonzept als Standort für einen weiteren Vollsortimenter empfohlen. Für die Fläche gibt es zwar aktuell noch kein Baurecht, aber es gibt quasi einen Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan (als Gewerbegebiet), der sich jetzt noch leicht abändern lassen würde in Sonderfläche großflächiger Einzelhandel in einem Teilbereich. Ob die Eigentümer letztendlich verkaufsbereit sind und das Gebiet entwickelt werden kann und sich die Probleme mit den Ausgleichsflächen lösen lassen, bleibt abzuwarten. Die Unsicherheiten sind also vergleichbar mit der Max-Planck-Straße, aber der Zeithorizont bis zu einer möglichen Realisierung ist länger.

Die „Argumente“ des Bürgermeisters
Ich sage nur „20 Anfragen und Gespräche“. Das zeigt doch ganz klar: Das Interesse von Edeka ist sehr groß, der Wille der Hauptamtlichen ist sehr klein. Denn wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Da wird in der Stadtverordnetenversammlung gesagt, Einzelhandel ist an dieser Stelle nicht möglich, weil die Stadtverordneten dies mit dem Beschluss eines abgeänderten Bebauungsplans vor 3 Jahren so beschlossen haben. Alles korrekt, laut Bebauungsplan ist dort Gewerbegebiet und in einem Gewerbegebiet ist großflächiger Einzelhandel unzulässig. Was er nicht gesagt hat ist, dass z.B. FDP und Freie Wähler diesem Bebauungsplan nicht zugestimmt haben und vor allem, dass die Stadtverordnetenversammlung den Bebauungsplan jederzeit wieder ändern kann. Es sind 3 Beschlüsse nötig, um genau auf diesem Areal großflächigen Einzelhandel zuzulassen, in 9 Monaten könnte hier Baurecht geschaffen werden (bei Zustimmung von RP und Planungsverband) – wenn man denn wollte. Bei der Überplanung des Gewerbegebietes vor 3 Jahren kam es übrigens auch zu so einer Anpassung – allerdings in die andere Richtung. Aus dem ehemaligen Sondergebiet Profi-Baumarkt wurde wieder Gewerbegebiet. Und auch für die Projekte in der Kapellenstraße und der Odenwaldstraße wurde vorhabenbezogen Gewerbegebiet in Mischgebiet umgewandelt, um Wohnungsbau zu ermöglichen. Ein ganz normaler kommunalpolitischer Vorgang. Nur bei Edeka soll das nicht möglich sein? Soll er doch einfach sagen: ich will das nicht.
Das erinnert doch sehr stark an die Verhinderungsposse von Rossmann vor 2 Jahren. Auch hier wollte er nicht. Da musste der Investor noch ein unsinniges Verkehrsgutachten bezahlen, damit der Bürgermeister wenigstens irgendein fadenscheiniges Argument in der Hand hat, mit dem er seine erst ablehnende Haltung rechtfertigen kann. Als ob die 8 Kunden von Rossmann den Aldi-Kreisel verstopfen oder Schmoll die knappen Parkplätze wegnimmt. Oder haben sie (außer am Eröffnungstag) schon einmal erlebt, dass Rossmann, Aldi und die Straße mit Kunden zugeparkt und der Kreisel verstopft war?

Die „Argumente“ der Grünen
Die Grünen nehmen in ihrer Stellungnahme natürlich die vorgeschobenen Argumente ihres Bürgermeisters auf, kommen zu der Erkenntnis, dass eine Zustimmung des Regionalverbands ausgeschlossen erscheint. Wie sie zu dieser in meinen Augen falschen Erkenntnis kommen und auf welchen Fakten diese beruht, sagen sie nicht. Aber sie gehen noch einen Schritt weiter, sprechen davon, dass sich in der Max-Planck-Straße die komplizierte Verkehrssituation erheblich verschärfen würde. Okay, wieder was gelernt, für die Grünen sind also 3 Autos pro Minute auf einer 11 m breiten Straße schon kompliziert. Wenn sich das dann durch Edeka auf 6 Autos pro Minute erhöht, ist das natürlich verschärft. Ja, Gotta-Eloxal hat ein paar LKW, die auch teilweise fahren und leider öfters auf der Straße und nicht auf dem Betriebsgelände parken, aber erheblicher LKW-Verkehr? Da ist keine Spedition, die Max-Planck-Straße hat am Tag weniger LKW als die Waldstraße in Dietzenbach in 30 Minuten. Mensch Kollegen, bleibt doch mal auf dem Teppich!
Dann wird von Standortsicherung der ansässigen Firmen gesprochen. Alle dort noch ansässigen kleinen Firmen wissen, dass sie wegmüssen, wenn die Eigentümer das Grundstück veräußern – egal ob an einem Gewerbebetrieb oder an einen Einzelhändler. Das ist normales Geschäft. Es ist in so einem Fall hilfreich, wenn sich die Wirtschaftsförderung einschaltet und Alternativstandorte im Stadtgebiet anbieten kann. Im Moment sichert man am dortigen Standort mit dem Bebauungsplan augenscheinlich eher die Gewerbebrache – ein Unding bei gleichzeitigem Mangel an Gewerbeflächen.
Dass die Eigentümer damals keine Einwände gegen den Bebauungsplan hatten, ist doch klar: damals gab es ja auch noch kein lukratives Kaufangebot eines Projektentwicklers, man baute noch darauf, einen Käufer für die Gewerbefläche zu finden, der seinerseits Gewerbe dort ansiedeln möchte. Die Situation ist nun eine andere und ein Bebauungsplan ist nicht in Stein gemeißelt.
Das i-Tüpfelchen ist dann der letzte Satz: „Gemeinwohl steht über dem privatem Verwertungsinteresse“. Den Satz unterschreibe ich sofort, da sind wir uns 100 % einig. Aber der Satz impliziert, dass es für das Gemeinwohl dort besser wäre, die Industriebrache zu behalten als einen attraktiven Einzelhändler zuzulassen. Nach meiner Auffassung besteht hier der Fall, dass Allgemeinwohl und privates Verwertungsinteresse deckungsgleich sind. Ein Edeka an dieser Stelle dient dem Allgemeinwohl. Aber die grünen Bio-Mütter setzen sich anscheinend lieber in ihre 200 PS SUV’s und fahren zu Tegut und Edeka nach Dietzenbach und Münster, um die Bio-Produkte zu kaufen, die es in unserem Bio-Markt nicht gibt. Ich weiß, dass sind ein paar viele Klischees auf einmal, aber ich will zeigen, dass für unsere Grünen die ökologischen Aspekte bei ihrem Kampf gegen Veränderung ebenso auf der Strecke bleiben wie die Wünsche der Bevölkerung.

Die „Argumente“ der CDU
Die CDU ist wie immer in dieser Koalition ambivalent. Auf der einen Seite stellen sie richtigerweise fest, dass sowohl ihre Wähler als auch ihre Mitglieder Edeka begrüßen würden – durchaus auch an dieser Stelle. Um nicht auf Konfrontation mit dem Bürgermeister zu gehen, führen sie auf der anderen Seite Scheinargumente wie das Einzelhandelskonzept sowie „geordnete städtebauliche Entwicklung“ vor, um die jetzt diskutierte Stelle auszuschließen und auf den Sankt-Nimmerleinstag zu verschieben. „Areale im Außenbereich insbesondere als Arrondierung an die bestehende Bebauung können in Betracht gezogen werden“. In Betracht ziehen kann man vieles, aber ist das auch realistisch? Es gibt nur 2 Flächen, auf die zutrifft, dass sie nach aktuellem Flächennutzungsplan nach Aufstellung eines Bebauungsplans dazu hergenommen werden könnten. Die eine liegt in der grünen Mitte, die andere ist die bereits beschriebene an der Kapellenstraße. Bei allen anderen Flächen müsste man diese erst beim Planungsverband als Bauerwartungsland anmelden, das Verfahren der Erstellung des nächsten regionalen Flächennutzungsplans muss erfolgreich durchlaufen werden, bevor die Stadt wiederum ein Bauleitverfahren eröffnen kann. In den nächsten 6-8 Jahren passiert hier wenig, ist meine Prognose. Sollte diese Koalition noch länger Bestand haben, reden wir von Jahrzehnten.
Ich sehe die „Auswirkungen städtebaulicher Art“ vor allem positiv, denn aus einer Industriebrache mit aktuell maximal 20 Arbeitsplätzen auf 12.500 m2 würde ein attraktiver Einzelhandelsstandort, der das Gewerbegebiet insgesamt aufwerten würde. Die CDU möge mir mal erklären, ob sie irgendwelche negativen Auswirkungen städtebaulicher Art sieht und wenn ja welche. Einzig der letzte Teilsatz der Pressemitteilung spricht Wahres: Rödermark wäre letztendlich auf die Zustimmung übergeordneter Instanzen angewiesen. Aber mit einem entsprechenden Willen und guter Lobbyarbeit sollte das möglich sein. Leider sehe ich beides bei unseren Hauptamtlichen nicht.

Fazit
Wenn ich die Wahl habe, eine bestehende große Gewerbefläche, die seit vielen Jahren zum großen Teil brach liegt und augenscheinlich schwer zu vermarkten ist, zeitnah zu revitalisieren oder auf eine Fläche zu setzen, bei der es nicht einfach sein wird, Baurecht zu schaffen, die dann aber aufgrund der grünen Wiese und der exponierten Lage sehr einfach zu vermarkten sein wird, dann nehme ich ersteres. Für die Bürger wäre ein Edeka in der Max-Planck-Straße ein großer Gewinn. Nach reiflicher Überlegung wird sich die FDP daher dafür einsetzen, dass der Markt hier seinen neuen Standort bekommt.
Denken wir das ganze noch ein bisschen weiter: Von den 12.500 m2 Fläche werden 2.000 abgetrennt und stehen für Kleingewerbe weiterhin zur Verfügung. Edeka holt seine Tochter Profi-Getränkemarkt auf das neue Gelände, der alte Getränkemarkt-Standort wird frei und könnte von den privaten Eigentümern z.B. bei Bedarf an die Firma Schmoll vermietet oder verkauft werden, die damit ihre Expansion am bisherigen Standort fortführen kann.
Und Edeka verpflichtet sich in einem städtebaulichen Vertrag, zusätzlich einen Frischenahversorger in der Stadtmitte einzurichten. Edeka geht nämlich seit einiger Zeit wieder verstärkt mit kleinen Läden mit ausgewähltem Frischeangebot in Innenstadtlagen. Dazu wird parallel die Kapellenstraße entwickelt, das 10 ha-Eckgrundstück wird an Rewe verkauft, die dann in 4 Jahren dorthin in einen größeren Markt umziehen. Auf dem Areal zieht auch noch ein Markenschuhgeschäft ein. Um eine Lärmschutzwand an der Mainzer Straße zu verhindern, werden dort statt eines Vollsortimenters ein Fastfoodrestaurant und ein Asiarestaurant errichtet. Die passen dort besser hin und fehlen in Rödermark nämlich auch noch. (Nicht falsch verstehen: Ich persönlich lehne Fastfood ab und brauche es nicht. Dennoch muss ich anerkennen, dass der Bedarf da ist. Und aus ökologischer Sicht ist es sinnvoll, den vorhandenen Fastfoodtourismus nach Dietzenbach oder Dieburg einzuschränken.)
Es könnte alles so schön sein, wenn man nur wollte.
Dr. Rüdiger Werner
30. März 2018

Richtigstellung: In der Originalversion des Blogs konnte der Eindruck entstehen, die Firma Edeka sei der Besitzer des Grundstücks, auf dem heute der Profi-Getränkemarkt angesiedelt ist. Richtig ist, dass sich das Grundstück in Privatbesitz befindet. Für diese unklare Darstellung, die aber an der grundsätzlichen Vision nichts ändert, möchte ich mich entschuldigen.


Rüdiger Werner, 6. April 2018

Meinungen / Blog.
Für den Inhalt der einzelnen Blogartikel sind die jeweils benannten Autoren allein verantwortlich. Die Inhalte der Artikel spiegeln nicht, bzw. nicht zwangsläufig die Meinung der FDP-Rödermark (Partei und Fraktion) wider.

Blogbeitrag

Umgang mit der Türkei und eine türkische Partnerstadt

Blog von Dr. Rüdiger Werner.
Über den Umgang mit der Türkei und warum für mich eine türkische Partnerstadt nicht in Frage kommt.
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Blogbeitrag

Über den Umgang mit der Türkei und warum für mich eine türkische Partnerstadt nicht in Frage kommt

Wenn man sich mit der Türkeifrage auseinandersetzt, kommt man nicht umher, einen Blick zurück in die jüngere Geschichte des Landes zu werfen. Ich will versuchen, ein paar Punkte zu benennen, die als Hintergrund zur Beurteilung der heutigen Situation wichtig sind, ohne dabei Geschichtslehrer sein zu wollen. Auch möchte ich die Lage in der Türkei nicht im Detail beschreiben oder beurteilen. In den letzten Jahren gab es dazu 100 Kommentare und Berichte in den Zeitschriften, im Internet, im Fernsehen, die wahrscheinlich alle einen tieferen Einblick haben als ich. Ich möchte allerdings eine persönliche Bewertung vornehmen und die Gründe erläutern, die mich zu meiner Haltung gebracht haben und damit den Bogen zur aktuellen Kommunalpolitik spannen, wo die FDP den Antrag gestellt hat, die Diskussion um eine türkische Partnerstadt zu beenden und der offiziellen Anfrage von Hekimhan eine Absage zu erteilen.

Die Entwicklung der Türkei in den letzten 20 Jahren
In den 90er Jahren gab es in der Türkei 3 politische Strömungen: eine konservativ nationalistische (Süleyman Demirel, Mesut Yilmaz, Tansu Çiller – ANAB, DYP), eine sozialdemokratisch-sozialistische (Bülent Ecevit – DSP, CHP) sowie eine islamistisch-nationalistische (Nezmettin Erbakan, Abdullah Gül, Recep Tayyip Erdoğan – MSP, DP, FP, AKP). Aus meiner Erinnerung heraus gab es ständige Wechsel in den Ämtern des Ministerpräsidenten sowie des Staatspräsidenten. Als 1996 mit Erbakan erstmals Islamist eine Mehrheit organisieren konnte, brachte das das Militär sowie die Gerichtsbarkeit auf den Plan, die sich als Hüter der kemalistischen Türkei sahen und auf eine strenge Trennung zwischen Staat und Religion achteten. Erbakan wurde zum Rücktritt gedrängt, die DP verboten, der Sozialist Ecevit übernahm. Im Hintergrund kämpften die Islamisten um ihre Rechte, aufgrund nicht verfassungskonformer Wahlkampfäußerungen wurde damals auch Erdoğan zu 10 Monaten Haft verurteilt und mit einem Mandatsverbot belegt. Aus der DP wurde die FP, die 2001 verboten wurde. Der Streit unter den Islamisten führte zu einer Spaltung und der Gründung der AKP durch Erdoğan. Ein Machtkampf zwischen Ecevit und dem damaligen Staatspräsidenten Ahmet Sezer verbunden mit einer Bankenkrise führte 2001 zu einer ernsten Wirtschaftskrise. Aus dieser Gemengelage heraus – Hyperinflation, hohe Arbeitslosigkeit, zerstrittene Sozialisten, zersplitterte Konservative, Korruption, ständige Einmischung des Militärs, keine Kontinuität in der Führung des Landes, wirtschaftliche Schwäche – wollten die Türken vor allem eines: Ruhe und Kontinuität. Deshalb wählten Sie 2002 die AKP an die Macht. Mit ihrer Mehrheit änderte die AKP erst einmal die Verfassung derart ab, dass das Politikverbot für Erdoğan und andere aufgehoben wurde. Was dann geschah, beeindruckte die meisten Türken. Erdoğan schaffte es tatsächlich, Stabilität und Kontinuität hineinzubringen. Er erkannte, dass als erstes die Wirtschaft auf Vordermann gebracht werden musste, bevor er sich um eine Islamisierung kümmern konnte. Und er hatte mit seinem wirtschaftsliberalen Kurs erstaunliche Erfolge aufzuweisen. Die Wirtschaft wuchs bereits in den ersten Jahren seiner Regierungszeit deutlich. Das Bruttoinlandsprodukt hat sich mehr als verdoppelt, die neue türkische Lira ist einigermaßen stabil, die Hyperinflation ist vorbei. Was er nicht beseitigen konnte ist – trotz enorm gestiegener Exporte – das hohe Leistungsbilanzdefizit. Die meisten dieser Erfolge konnten bis 2012 erzielt werden. Seitdem sind die Wachstumsraten abgeschwächt, der Wert der türkischen Lira hat sich in den letzten 5 Jahren im Vergleich zum US-Dollar halbiert. Vielleicht ist es auch diese fehlende Phantasie, wie er sein Volk mit weiteren Wirtschaftswunderdaten beglücken kann (und damit ein wichtiges Wahlargument mehr und mehr verschwindet), die den Wandel hin zur Abschaffung der Demokratie in den letzten 5 Jahren mit verursacht hat.

Die Türkei überschreitet Grenzen
Als Ecevit und Erdoğan zu Beginn des Jahrtausends den EU-Beitritt der Türkei forcierten, war ich zwiegespalten. Auf der einen Seite ließe sich das Land so mehr an Europa und unsere Wertegemeinschaft heranführen, der Laizismus der Türkei wäre gefestigt, da eine komplette Islamisierung in der EU nicht möglich wäre. Auch die wirtschaftlichen Daten sprachen Mitte/Ende des letzten Jahrzehnts eher für eine Aufnahme. Mit nun rund 80 Millionen Menschen ist die Türkei ein riesiger Markt, das Pro-Kopf-Einkommen ist höher als in den EU-Staaten Rumänien und Bulgarien. Auf der anderen Seite sehe ich die EU nicht nur als Wirtschaftsunion, sondern auch als Wertegemeinschaft, die trotz einer enormen Vielfalt auf regionaler Ebene doch auch eine ähnliche Kultur aufweist. Das sah ich schon damals bei der Türkei nicht. Es ist ein anderer Kulturkreis, eine andere Religion, die trotz des Laizismusses stärker im Blickfeld steht als in Westeuropa, eine Turksprache und keine indogermanische Sprache. Die Angst vor dem Andersartigen ist daher bei den Türken in vielen Bevölkerungsschichten weit mehr vorhanden als bei z.B. Serben, Albaner oder Ukrainer, die auch gerne in die EU möchten.
Während die Türkei zu Beginn des Jahrtausends noch Kompromisse einging und versuchte, einen Teil der Forderungen der Europäer für eine EU-Aufnahme zu erfüllen (z.B. Abschaffung der Todesstrafe im Zuge der Özalan-Debatte), schwand diese Bereitschaft im letzten Jahrzehnt merklich bis zur Unkenntlichkeit. Für mich und viele andere von zentraler Bedeutung sind dabei Rechte wie Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Religionsfreiheit, aber auch die Anerkennung von Schuld. Den Genozid an den Armeniern im 1. Weltkrieg zu leugnen ist in meinen Augen fast so pervers wie den Genozid an den Juden im 2. Weltkrieg zu leugnen. Wo genau ist das Problem dabei? Viele Nationen haben einen Schandfleck in ihrer Geschichte, haben das zugegeben und verarbeitet. Es geschah im Osmanischen Reich, nicht mal in der Türkei und es geschah in Kriegszeiten.
Ein weiteres zentrales Problem ist der Umgang mit Minderheiten im eigenen Land. Die territoriale Integrität des Landes steht in der türkischen Verfassung ganz weit oben. Aber das als Grundlage zu nehmen, die größte Minderheit zu unterdrücken und zu vernachlässigen, kann nicht sein. Nur 70 % der in der Türkei lebenden Menschen gehören der türkischen Volksgruppe an, die Türkei ist ein Vielvölker- und ein Vielsprachenstaat. Wie kann es sein, dass nur 1% der Einwohner als Minderheit anerkannt sind? Was sind die anderen 29 %? Wie kann es sein, das ein Sprache, die für über 10 Millionen Menschen Muttersprache ist (Kurmandschi) nicht als Amtssprache anerkannt ist? Gleiches gilt für die zweite Kurdensprache Zaza. Wenn man ein 15-Millionen-Volk systematisch unterdrückt, Kurdische Fernsehsender und Zeitungen verbietet, kurdische Politiker und Journalisten inhaftiert (ich rede nicht von den letzten 2 Jahren), braucht man sich nicht zu wundern, dass man Widerstand erntet, dass man auch bereit ist in den Untergrund zu gehen und für seine Rechte zu kämpfen. Erst züchtet man sich also durch sein eigenes Verhalten einen Staatsfeind Nr. 1 (die kurdische Arbeiterpartei PKK), um dann für alles und jedes einen Vorwand zu haben, um demokratische Regeln außer Kraft zu setzen. PKK = Terroristen, Kontakt zu PKK = Terrorist, potenzieller Kontakt zu PKK = Terrorist, Terrorist, da man ja prinzipiell die Möglichkeit gehabt hätte, mit jemanden Kontakt aufzunehmen, der potenziell Kontakt zur PKK hat.
Meine Theorie ist: Würde man die Kurden nicht seit Jahrzehnten wie Staatsbürger 2. Klasse behandeln, hätte man ein Wahlsystem, bei dem auch Vertreter von Minderheiten eine Chance hätten (Abschaffung 10%-Hürde z.B.), würde man die Kulturen der Minderheiten gleichberechtigt sehen und behandeln anstatt diese zu unterdrücken, hätten wir die meisten der heutigen Probleme nicht.
Ich sehe die Rolle der Türkei im Syrienkonflikt sehr kritisch. Offiziell erklärt man den IS zum Feind und bombardiert ihn ab und zu, inoffiziell hat man jahrelang Waffenlieferungen an den IS zugelassen. Der IS war aus 3 Gründen opportun: er hat zumindest im Namen das Wort „Islamisch“, er kämpft gegen das türkische Feindbild Assad in Syrien und vor allem er kämpft gegen die Kurden in Nordsyrien und im Nordirak und hält diese somit klein. Denn was ist das schlimmste, was der Türkei passieren kann? Nach dem 2. Irakkrieg nutzte die kurdische Minderheit im Nordirak das 10-jährige Machtvakuum und operiert seitdem weitgehend autonom, anfangs mit großem wirtschaftlichen Erfolg. Eine funktionierende Autonomie der Kurden im Nordirak würde auch den Wunsch der türkischen Kurden nach mehr Autonomie, ja vielleicht sogar nach einem eigenständigen Kurdenstaat fördern. Durch den Kampf mit dem IS ist der Aufschwung in den irakischen Kurdengebieten zusammengebrochen. Aber das ist der Türkei noch nicht genug. Da die kurdischen Peschmerga es trotz schlechter Ausrüstung als einzige geschafft haben, den IS zurückzudrängen und ihr Territorium weitgehend zu befrieden, unterstützt man halt den IS darin, angebliche PKK-Stellungen im Nordirak zu bombardieren. In einer Reportage vor ein paar Wochen wurde behauptet, die Türkei hat in den letzten 3 Jahren mehr Angriffe auf Stellungen der Kurden als auf Stellungen des IS geflogen. Das sagt alles.

Mein Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hat die Reaktion auf die Bundestagsresolution zum Völkermord an den Armeniern vor 2 Jahren. Endlich hat der Bundestag mal den Mut gehabt, etwas auszusprechen, was anderen Mächten auf dieser Welt nicht passt. Wenn der höchste Deutsche Souverän, einfach nur eine Feststellung macht, die der historischen Wahrheit entspricht und die Türkei daraufhin den höchsten deutschen Souverän wüst beschimpft und es Vertreter des Deutschen Bundestages nicht gestattet, ihre Soldaten auf dem NATO-Stützpunkt in Incirlik zu besuchen. Und nach diesem unglaublichen Vorfall eines angeblichen NATO-Verbündeten diskutieren wir hier wochenlang um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker, die Werbung für ein noch undemokratischeres System machen wollen?
Die jüngste Geschichte kennt jeder: Einschnitte in die Versammlungs- und Pressefreiheit, Putschversuch, Ausnahmezustand, großangelegte Säuberungs- und Entlassungswelle, Böhmermann-Affäre, staatliche Medienkontrolle, Nazi-Beschimpfungen gegenüber Europa, Verfassungsreferendum hin zu einer Präsidialdiktatur.

Der Kampf um Werte
Ein Berufspolitiker steht in einem ständigen Konflikt: Was wiegt stärker – die Vertretung der Interessen meines Landes oder das Stehen hinter meinen Grundwerten? Auf der einen Seite hat die Bundesrepublik Deutschland ein großes Interesse an einer funktionierenden Beziehung mit der Türkei als NATO-Partner in dem politischen Brennpunkt des Kontinents, als wichtiger Wirtschaftspartner (drittwichtigster außereuropäischer Handelspartner) und als Abstammungsland von fast 3 Millionen Mitbürgern in Deutschland. Auf der anderen Seite stehen die Werte des Grundgesetzes, die für jeden das höchste Gut sein sollten, für die es sich zu kämpfen lohnt. Wie geht man nun um mit Staaten und Politikern, die sich im eigenen Land um Grundrechte oder gar das Völkerrecht nicht scheren? Die mit purer Macht und Gewalt ihren Willen durchsetzen. Auf beiden Augen blind und durch? Reicht ein „du, du, du, das macht man aber nicht – kommen wir nun zum Geschäft“? Oder ist man gegebenenfalls sogar bereit, die Werte an die erste Stelle zu stellen und die Interessen hinten anzustellen – mit möglicherweise negativen Konsequenzen für das eigene Wahlvolk?
Meine Antwort darauf ist ganz klar: meine Grundwerte, die Werte des Grundgesetzes sind nicht verhandelbar. Als Vertreter einer freiheitlichen Partei ist der Freiheitsbegriff für mich eminent, die persönliche Freiheit des einzelnen ist in all ihren Aspekten zu wahren und ein Unrecht wird nicht dadurch rechter, nur weil es von einem wichtigen Verbündeten oder einem wichtigen Handelspartner begangen wurde. Ich wünsche mir hier Politiker, die klare Kante zeigen und auch bereit sind, die Konsequenzen dafür zu tragen. Mir hat es gut gefallen, dass Außenminister Sigmar Gabriel mit israelischen NGO’s gesprochen hat.
Populisten haben auch deshalb Aufwind, weil sie oftmals kein Interesse an den staatlichen Interessen haben, weil sie die Welt mit einem klaren Schwarz-Weiß-Bild vereinfachen, klare Positionen – scheiß auf die Konsequenzen! So weit würde ich jetzt nicht gehen, klare Kante heißt nicht Holzhammermethode, aber ein bisschen mehr Bosbach und weniger Merkel dürfte es in Berlin schon sein. Mir ist dein Einstehen für meine Grundwerte auch außerhalb Deutschlands wichtiger als 50 € mehr im Portmonee.
Im Falle der Türkei heißt das, die Grenzen ganz deutlich zu ziehen. Einreisestopp für alle türkischen Politiker, solange es keine offiziellen Entschuldigungen für diese Nazi-Vergleiche gibt. Sofortige Beendigung der EU-Beitrittsgespräche. Keine deutschen oder EU-Finanzmittel mehr nach Ankara. Abzug aller deutschen Soldaten aus der Türkei. Unterstützung der türkischen Zivilgesellschaft bei ihrem Kampf um ihre Grundrechte. Ich würde sogar soweit gehen und Erdoğan anklagen wegen Beleidigung und Volksverhetzung. Ein internationaler Haftbefehl gegen den gewählten türkischen Staatspräsidenten wäre ein klares Zeichen, dass er alle denkbaren Grenzen überschritten hat und er sich damit international isoliert hat. Wenn jemand merkt, er kommt mit Grenzüberschreitungen durch, dann wird es für ihn auch keine Grenzen mehr geben. Und schlimmer als heute geht immer.
In meinen Augen müsste auch ein NATO-Ausschluss diskutiert werden. Es kann nicht sein, dass die Peschmerga von den meisten NATO-Staaten unterstützt, aber von der Türkei bombardiert wird.

Türken in Deutschland
Ich hatte in meiner Studienzeit das Vergnügen, einige Wochen lang ein paar Studentinnen der türkischen Partneruniversität betreuen zu dürfen. Das waren lebenslustige, modisch gekleidete und geschminkte junge Frauen ohne Kopftuch, die sich verstört über die in Deutschland lebenden Türken gezeigt haben. „So ist meine Oma vor 40 Jahren rumgelaufen“, lautete die nun schon 20 Jahre alte Aussage. Ich weiß noch, wie eines der Mädchen seine Verwandtschaft in Deutschland als „antiquated and backward“, also rückständig bezeichnete. Nun kamen die Mädels aus einer Großstadt und hatten vielleicht auch keinen objektiven Blick, aber eines kann man bei einem größeren Teil der hier lebenden Mitbürger türkischer Abstammung schon sagen: sie sind in der kulturellen Entwicklung stehen geblieben. Fernab der Heimat in der Fremde sucht man Geborgenheit, das Verbindende – und das findet man häufig in der Kultur der Heimat, den Traditionen aus der Kindheit, die man pflegt, um Halt im Leben zu haben, oft ohne zu merken, dass die Entwicklung in der Heimat weitergegangen ist und man hier nun durchaus rückständig ist.
Das betrifft den einen Teil der Türken, die obwohl teilweise schon 50 Jahre im Land, sich ausschließlich als Türken sehen, die deutsche Staatsbürgerschaft ablehnen und sich auch sonst nicht wirklich in die deutsche Zivilgesellschaft integriert haben. Der andere Teil ist kulturell assimiliert, hat meist die deutsche Staatsbürgerschaft und ist außer vom Namen her kaum noch als Türke oder Türkin wahrnehmbar. Meine These ist daher: hätten alle türkisch-stämmigen Bürger in Deutschland bei der Wahl zum Verfassungsreferendum teilgenommen, hätte es eine klare Mehrheit gegen Erdoğan gegeben. Aber teilnehmen durften ja nur die diejenigen mit türkischem Pass und auch davon hat nur die Hälfte teilgenommen. Ich bin in der Wahlperiode etwa zehnmal am türkischen Konsulat in Frankfurt vorbeigefahren, wo meist eine Schlange an wahlberechtigten Türken davorstand. Und das war mehrheitlich tatsächlich (und dem Klischee entsprechend) die Fraktion der bärtigen Männer und kopftuchtragenden Frauen. Insofern wundern mich die 60 % Zustimmung aus dem Frankfurter Wahllokal nicht wirklich.
Gerade in der Ferne entwickelt man ein besonders starkes Heimatgefühl, man wünscht sich ein starkes Heimatland, das einen mit Stolz erfüllt. Ein Lautsprecher und Populist wie Erdoğan wird da gerne genommen, da der Blick auf die Realitäten in der Heimat oft verklärt ist. Ein türkischer Mieter hat mir z.B. felsenfest erklärt, dass die medizinische Versorgung in der Türkei besser wäre als in Deutschland.
Ein weiterer äußerst wichtiger Punkt ist die Kontrolle der Medien. Im Handbuch für Diktatoren steht auf Seite 1: Bringe die Medien unter deine Kontrolle. Das hat Erdoğan erst schleichend und in den letzten Monaten für alle sichtbar getan. Regierungskritische Medien sind kaum noch vorhanden, kritische Journalisten reihenweise hinter Gittern, die wichtigsten Medien komplett unter staatlicher Kontrolle und auch das Internet wird zensiert. Seit dem 1. Mai ist sogar Wikipedia gesperrt. „Die türkischen Behörden hätten Wikipedia aufgefordert, bestimmte Autoren und Links zu entfernen, die der „Terrorunterstützung“ dienten. Dem sei nicht nachgekommen worden.“ Was ist das Resultat? Der Normalbürger weiß in der Regel nicht, welche der vielen Zeitungen und Sender wirklich frei berichten und welche nur das berichten, was der Staat will. Wenn man aus vielen Kanälen jahrelang nur das Beste über seine Führung und den Staat hört (weil alles Schlechte und Kritische ausgeblendet und verschwiegen wird), glaubt man es irgendwann. Man ist ohne sein Wissen manipuliert worden.
Erdoğan hat hier durchaus Vorbilder: Putin hat das in Russland gemacht und es so auf 80 % Zustimmung gebracht, Orban in Ungarn und das Dreigestirn Szydlo/Duda/Kaczynski in Polen versuchen dem im Ansatz nachzueifern. Am weitesten gebracht hat es diesbezüglich die Familie Kim in Nordkorea, die dort wirklich gottgleich verehrt wird, weil die Menschen keine andere Möglichkeit haben, als das zu glauben, was in den staatlichen Medien erzählt wird.
Fazit: Umso länger Erdoğan im Amt ist, umso einfacher wird bei Abwesenheit von kritischen Medien der Machterhalt für ihn.
Am Ende dieses Abschnittes noch etwas Statistisches. Die Türkischstämmigen sind zwar mit knapp 3 Millionen noch die mit Abstand größte Migrantengruppe in Deutschland, aber ihre Zahl stagniert, die der türkischstämmigen Ausländer nimmt sogar ab. Die Türken stellen mit jährlich 20.000-40.000 Personen die bei weitem größte Gruppe unter den jährlich Neueingebürgerten. In den letzten Jahren ist der Fortzug in die Türkei größer als der Zuzug von der Türkei. Gerade viele türkische Rentner verbringen ihren Lebensabend lieber in der Türkei als in Deutschland.
Von den aktuell rund 2,85 Millionen türkischstämmigen Mitbürgern haben übrigens rund 250.000 die doppelte Staatsbürgerschaft, rund 650.000 haben sich bisher einbürgern lassen, knapp 500.000 sind als Deutsche geboren und rund 1.480.000 besitzen nur die türkische Staatsbürgerschaft. Mit 43,2 Jahren ist das Durchschnittsalter der türkischstämmigen Ausländer übrigens weit überdurchschnittlich hoch.

Städtepartnerschaften in der heutigen Zeit
Städtepartnerschaften werden in der Regel von 2 ähnlichen Kommunen eingegangen mit dem Ziel, sich kulturell und wirtschaftlich auszutauschen. Je nach Engagement der Städte werden oftmals jährliche Besuche organisiert. Die Initiative hierzu geht entweder von der Stadtverwaltung, gelegentlich auch von Vereinen aus. Die Besucher sollen in der Regel bei privaten Gastgebern untergebracht werden, was das Zusammenwachsen der Völker fördert. Nehmen Vereine an einem solchen Austausch teil, so werden nicht selten gemeinsame Veranstaltungen, etwa Wettkämpfe oder Konzerte, veranstaltet. Städtepartnerschaften sind ein Instrument der Völkerverständigung und können auch Demokratisierungsprozesse fördern im Sinne einer kommunalen Außenpolitik. Daher existieren z.B. besonders viele Städtepartnerschaften mit Polen. In den 50er bis 90er Jahren, als die allermeisten der heute bestehenden Städtepartnerschaften gegründet wurden, hatte der Aufbau einer Städtepartnerschaft meist berechtigte Gründe. Entweder wurden bestehende kulturelle Beziehungen dadurch gefestigt (so existieren viele Städtepartnerschaften dort, wo die Schulen beider Städte vorher eine Schulpartnerschaft in Leben gerufen haben) oder die Völkerverständigung stand im Vordergrund. Im Jahre 2017 wird es schon schwieriger, gute Gründe zu finden, neue Partnerschaften zu gründen, denn in unserer weitgehend offenen und medial geprägten Welt braucht es keine Städtepartnerschaften mehr zur Erreichung der genannten Ziele. Der allergrößte Teil der Bevölkerung hat keine oder nur minimale Beziehungen zu den Partnerstädten, sie spielen im Leben der meisten Mitbürger keinerlei Rolle. Daher wird es für viele Kommunen immer schwieriger, die Beziehungen zu ihren Partnerkommunen aufrecht zu erhalten. So manche Städtepartnerschaft besteht nur noch auf dem Papier. Es muss daher die generelle Frage erlaubt sein: sind Städtepartnerschaften noch zeitgemäß?
Auch in Rödermark werden die 3 bestehenden Partnerschaften nur von wenigen Personen gepflegt. Man kann den Eindruck gewinnen – ich bin mir sicher, hier werden mir einige widersprechen – die Partnerschaften sind für viele mittlerweile mehr Pflichtaufgaben denn Herzensangelegenheit.
Städtepartnerschaften leben von den regelmäßigen gegenseitigen Besuchen. Dazu ist es von Vorteil, wenn man sich in Auto, Bus oder Zug setzen kann und in einigen Stunden vor Ort ist. Wenn man erst eine mehrstündige Flugreise auf sich nehmen muss, wird dieser wesentliche Punkt kostspieliger und schwieriger.
Städtepartnerschaften binden immer auch Verwaltungspersonal und sind nicht kostenlos zu haben. Ich schätze die Kosten pro Partnerstadt und Jahr auf mindestens 5.000 €.

Aus all diesen Gründen bin ich der Meinung, Rödermark hat mit seinen 3 Partnerstädten genug zu tun. Man sollte lieber versuchen, diese Partnerschaften zu pflegen und mit mehr Leben zu füllen, als eine weitere Partnerschaft einzugehen. Ich lehne daher eine neue Städtepartnerschaft generell ab. Für die Ablehnung einer offiziellen Partnerschaft mit Hekimhan gibt es aber noch andere, spezifischere Gründe, die ich im übernächsten Kapitel erläutern möchte.

Die Verbindung von Rödermark und Hekimhan
Als in den 60er Jahren im Zuge der Anwerbungswelle von Gastarbeitern auch viele Türken nach Deutschland kamen, haben diese naturgemäß versucht, möglichst nicht alleine irgendwo in einem fremden Land zu sein. Um im Leben neben der Arbeit nicht zu verkümmern, wollte man in der Nähe von Bekannten oder anderen Familienmitgliedern wohnen. So kam es überall im Land zu Clusterbildungen. In Rödermark ist dies die Region Hekimhan in der Provinz Malatya in Südostanatolien, aus der viele in Rödermark heimische Großfamilien ursprünglich herkamen. Hekimhan ist eine Kleinstadt mit knapp 8.000 Einwohnern, im gesamten Kreis wohnen auf einer Fläche fast sechsmal so groß wie der Kreis Offenbach lediglich rund 25.000 Menschen. Nach meinem Kenntnisstand haben über 200 Menschen aus Rödermark dort ihre Wurzeln. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich die Heimatvereine der im Ausland lebenden Hekimhaner und Kozderer (eine kleine Nachbargemeinde) in Rödermark gegründet und hier ihr Zentrum haben. Zwischen Rödermark und Hekimhan besteht also unzweifelhaft eine starke Verbindung. Folgerichtig ist auch nichts daran auszusetzen, wenn eine Delegation aus Rödermark Hekimhan besucht. Beim ersten Besuch war noch kaum Infrastruktur vorhanden, so dass eine mögliche Städtepartnerschaft selbst von Bürgermeister Roland Kern als unrealistisch angesehen wurde. Ende 2014 beschloss dann der Gemeinderat von Hekimhan, eine Städtepartnerschaft mit Rödermark anzustreben. Im Februar 2015 erreichte Bürgermeister Kern ein entsprechendes Schreiben mit der Bitte, dies aus Rödermärker Sicht zu prüfen. Im Frühjahr 2016 fuhr (bzw. flog) dann eine 10-köpfige Rödermärker Delegation nach Hekimhan und war sichtlich angetan von den Fortschritten in der Region. Die nun vorhandene Infrastruktur stünde einer Partnerschaft nicht im Wege. Kern berichte zwar ausführlich von der Reise, sprach aber bisher keine offizielle Empfehlung aus. Im Gegenteil, er versuchte die Diskussion über das Thema unter dem Teppich zu halten. Das Thema wurde lediglich einige Male im nicht-öffentlichen Ältestenrat angesprochen, eine öffentliche Diskussion wurde bisher vermieden. Selbst in der eigens gegründeten Kommission „Städtepartnerschaften“ kam das Thema Hekimhan noch nicht auf die Tagesordnung.
Aus meiner Sicht und der Sicht meiner Partei ist es 27 Monate nach Erhalt des Gesuchs aus Hekimhan an der Zeit, sich über eine Antwort Gedanken zu machen. Dies gebietet schon die Höflichkeit gegenüber den türkischen Gemeindevertretern. Die FDP hat sich dazu in den letzten Monaten und Jahren eine Meinung gebildet. Daher fanden wir es an der Zeit, dieses Thema an die Öffentlichkeit zu bringen und nicht länger im Untergrund schwelen zu lassen.

Ein deutliches Zeichen setzen – Nein zu einer offiziellen Städtepartnerschaft
Wie bereits gesagt sehe ich persönlich keinen großen Nutzen in einer weiteren Städtepartnerschaft und würde deshalb jede Initiative in diese Richtung – egal aus welchem Land sie kommt – zurzeit ablehnen.
Im Falle der Türkei kommen einige Besonderheiten hinzu. Seit dem Beschluss des Gemeinderates von Hekimhan hat sich die Türkei in rasanten Schritten hin zum schlechteren entwickelt. Demokratische Grundrechte werden mit Füßen getreten, die Rechtsstaatlichkeit darf angezweifelt werden. Auch ohne Verfassungsreform ist die Türkei schon fast bei einer Präsidialdiktatur angekommen.
Ein Beispiel: „Ich möchte der ganzen Welt ganz offen sagen, die Medien sind nirgendwo so frei wie in der Türkei“, erklärt Präsident Erdoğan im Brustton der Überzeugung. „Aber wir können jene, die sich an strafbaren Handlungen beteiligen, oder Terrororganisationen wie PKK oder die Gülen-Bewegung offen unterstützen, nicht für unschuldig erklären. Wir werden entschieden gegen jene vorgehen, die unter dem Deckmantel eines Medienvertreters für Terrororganisationen oder als Agent für ausländische Geheimdienste arbeiten.“ Die Realität: 156 Medienhäuser sind seit dem gescheiterten Putsch im Juli vergangenen Jahres geschlossen worden; 2500 Medienschaffende verloren ihren Job; rund 150 Journalisten sitzen im Gefängnis.
Sicherlich können die Menschen in Hekimhan nicht für die Handlungen ihres Präsidenten haftbar gemacht werden, man muss ihnen sogar zugute halten, dass sie mehrheitlich das Verfassungsreferendum nicht unterstützt haben – anders als Gesamtprovinz Malatya, die zu 70 % für Erdoğan stimmte.
Es tut mir leid, aber hier muss ich die Hekimhaner mit in die Kollektivhaft nehmen. Ich kann nicht so tun, als ob in der Türkei alles in Ordnung ist und jetzt eine Städtepartnerschaft beginnen. Das würde in meinen Augen einem Wegsehen gleichkommen. Und ich will nicht wegsehen. Ich will mit dieser Türkei, mit dieser Führung, so wenig wie möglich zu tun haben. Es ist nicht die Zeit, wo Deutschland oder ein kleiner Teil davon aktiv einen Schritt auf die Türkei zugehen muss. Es ist vielmehr die Zeit zu sagen: „Wenn ihr was mit uns zu tun haben wollt, dann müsst ihr euch besinnen und ändern, dann müsst ihr euren Präsidenten loswerden und eure Demokratie wieder zurückgewinnen“. Das kann Hekimhan sicher nicht alleine bewerkstelligen. Dann muss man eben warten. Jetzt ist definitiv nicht die Zeit für eine neue Städtepartnerschaft mit einer türkischen Stadt. Jetzt ist nicht die Zeit für ein „Jetzt erst recht“.
Dabei muss eines ganz klar sein: die Absage einer offiziellen Städtepartnerschaft ist keine Absage an die Menschen. Es spricht überhaupt nichts dagegen, den begonnenen freundschaftlichen Kontakt mit den Gemeinde- und Kreisvertretern aus Hekimhan aufrechtzuerhalten oder gar zu vertiefen. Man kann sozusagen gemeinsam auf bessere Zeiten warten. Ich sehe keinerlei zwingende Notwendigkeit, eine offizielle Städtepartnerschaft aufzubauen – schon gar nicht jetzt. Es gibt auch andere Wege des freundschaftlichen Miteinanders.
Zum Ende noch zwei weitere Argumente. Eine Städtepartnerschaft lebt von gegenseitigen Besuchen. Würden Sie derzeit als offizieller Vertreter einer Gebietskörperschaft gerne in die Türkei reisen? Ich nicht. Natürlich würde man mit seinen Gastgebern auch über die derzeitige Situation sprechen und natürlich würde ich klar meine Meinung äußern. Zum einen ist nicht klar, ob ich nach der Veröffentlichung eines solchen Statements überhaupt in die Türkei einreisen dürfte, zum anderen habe ich wirklich Zweifel, ob ich nach öffentlich geäußerter Kritik an Erdoğan und seinem System aus dem Land auch wie geplant wieder ausreisen dürfte. Diese Zweifel habe ich in Österreich (Saalfelden), Italien (Tramin) und Ungarn (Bodajk) nicht. Ob diese Zweifel gerechtfertigt sind oder nicht, sei dahingestellt, allein dass sie da sind reicht, um nicht in die Türkei zu fahren.
Man muss dazu auch folgendes Wissen: Die Türkei ist zentralistisch aufgebaut. Die Gouverneure der Provinzen werden nicht wie unsere Ministerpräsidenten gewählt, sondern vom Innenminister bestimmt und vom Präsidenten ernannt. Auch die Kaymakam, die Landräte, werden nicht gewählt, sondern vom Innenminister eingesetzt. Die Bürgermeister werden zwar vom Volk gewählt, haben aber keine eigenen Einnahmequellen, so dass ihre politische Autonomie sehr eingeschränkt ist und vom Goodwill der Landräte und Gouverneure abhängt. Seit dem Putschversuch wurden mehrere Hundert gewählte Bürgermeister abgesetzt, weil sie die PKK oder die Gülem-Bewegung unterstützten – also in der falschen Partei waren. Was garantiert uns, dass die Personen, die Rödermark 2016 noch gewogen waren, nicht auch ausgetauscht werden? Diese mögliche Willkür halte ich für weit problematischer als das Risiko des Wechsels der Ansprechperson durch Wahlen.
Ein letztes Argument: Die bereits seit 1971 bestehende Städtepartnerschaft zwischen Darmstadt und der südwesttürkischen Großstadt Bursa wird wegen des Konflikts um Wahlkampfauftritte von türkischen Politikern in Deutschland von der türkischen Seite bis auf Weiteres ausgesetzt. Kein Einzelfall. Türkische Städte kündigen aus rein politischen Gründen ein seit Jahrzehnten bestehende Städtepartnerschaft auf und das gallische Dorf Rödermark will parallel dazu eine neue Städtepartnerschaft begründen. Sorry, aber dafür fehlt mir das Verständnis. Nicht mit mir!

Die Reaktion der Vereine und des Magistrates auf unseren Antrag
Am Montag Morgen haben wir unseren Antrag eingebracht, am Dienstag und Donnerstag hat die regionale Presse über unsere Initiative berichtet und am Freitag wurde uns von der Stadt ein 1 ½-seitiges Word-Dokument zugestellt, ohne Briefkopf, völlig unformatiert und ohne namentliche Unterzeichner. Absender: der Deutsch Türkische Freundschaftsverein Rödermark e.V., der Ausländerbeirat der Stadt Rödermark, der Hekimhaner Verein in Europa e.V. und der Kozdere Verein in Europa e.V. Wir haben zwar erwartet, dass die Unterzeichner eine türkische Partnerstadt begrüßen würden und sich damit gegen unsere Initiative aussprechen. Eine so schnelle Reaktion hat uns allerdings schon verwundert. Stellt sich die Frage, wer tatsächlich die Initiative zu diesem Schreiben geleistet hat: einer der Vereine oder nicht doch der Bürgermeister selbst?
In diesem Brief werden schwere Vorwürfe gegen unseren Antrag erhoben. Wörtlich heißt es z.B.: „Dieser Antrag wird, wenn angenommen, die guten Beziehungen von Menschen in Rödermark stark negativ beeinflussen.“ Ja warum denn das? Kann mir irgendjemand irgendeinen Grund für so eine Behauptung nennen? So eine Aussage ist einfach nur dumm und gefährlich. Keiner der FDP hat je behauptet, mit türkischstämmigen Menschen nichts mehr zu tun haben zu wollen, warum sollte sich auch an der Beziehung zu einzelnen Menschen etwas ändern? Die Behauptung der Vereine kann allerdings sehr wohl als Aufforderung an die Migranten verstanden werden, bei Ablehnung einer Städtepartnerschaft mit Hekimhan auch die Ablehner abzulehnen.
In dem Brief wird behauptet, wir hätten unseren Antrag mit dem Referendum begründet. Auch das ist nicht richtig. Das Ergebnis des Referendums ist nur das i-Tüpfelchen, das letztendlich dafür gesorgt hat, jetzt diesen Antrag zu stellen und die zögerliche Haltung der Stadt zu beenden. Die Gründe sind, wie in diesem Blog erläutert, viel vielschichtiger. Ein Nein zu einer Städtepartnerschaft als eine Abstrafung der Hekimhaner Bevölkerung zu bezeichnen, ist schon ein starkes Stück, ein völlig überzogener und haltloser Vorwurf. Ich Maße mir nicht an, irgendjemanden abzustrafen, ich möchte nur glaubwürdig bleiben und in den Spiegel gucken können. Was ist daran eine Strafe für die Bevölkerung, wenn Hekimhan wie bisher auch kein Verschwisterungsschild am Ortseingang stehen hat? Es wird sich weder für die Hekimhaner noch für die Rödermärker aus Hekimhan irgendetwas ändern. Was soll also diese Panikmache?
Das Schreiben endet mit dem Satz: „Wir dürfen als Demokraten die Demokraten in Hekimhan nicht im Stich lassen, sondern sie noch mehr unterstützen“. Und was ist mit den Demokraten in Istanbul und Izmir, mit den Demokraten in Moskau und auf der Krim, in Aleppo, Teheran und Pjöngjang (Gut, dort wird man wohl wenige finden…)? Muss Rödermark die auch alle unterstützen? Rödermark kann nicht die Welt retten und sollte es auch gar nicht erst versuchen. Dazu sind die Probleme vor Ort schon groß genug. In meinen Augen lasse ich niemanden im Stich, nur weil ich der Anfrage des Gemeinderates von Hekimhan eine Absage erteile. In meinen Augen unterstütze ich die Demokraten in Hekimhan vielmehr dadurch, dass ich klare Kante zeige und der undemokratischen Führung des Landes klar mache, dass sie sich nicht alles erlauben kann, dass nicht alle Taten von Erdogan und Konsorten ohne Konsequenzen bleiben. Und wenn die Konsequenz nur ist, dass Rödermark keine neue Städtepartnerschaft eingeht.

Dr. Rüdiger Werner
Rödermark, 2. Mai 2017
Anmerkung: Dieser Blog wurde vor der Diskussion in den Ausschüssen und der Abstimmung in der Stadtverordnetenversammlung verfasst.